Die Leipziger Buchmesse verzeichnete in diesem Jahr erstaunliche Besucherrekorde. Das Chaos im Eingangsbereich sei so groß gewesen, dass sogar Boulevardmedien darüber berichteten. Kontroverse Diskussionen über die Entwicklung der Branche suchte man hingegen vergebens – „dabei wären Streitgespräche dringend nötig“, kommentiert der SWR Literaturkritiker Carsten Otte.
Kennenlern-Kartenspiel im norwegischen Pavillon
Im Pavillon des Buchmesse-Gastlandes Norwegen wurde ein kommunikatives Kartenspiel verteilt, das zum „Gespräch mit anderen Menschen“ auffordert. Zitate aus norwegischen Büchern waren auf die Spielkarten gedruckt, etwa folgende Szene aus dem Roman „Der Keim“ des großen Erzählers Tarjei Vesaas, für den Guggolz Verlag vom begnadeten Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel ins Deutsche übertragen:
„Die beiden Sauen lagen lang und schwer im Koben. Grau von gestocktem Schlamm.“ Unter diesen beiden Sätzen war dann in hellroten Lettern folgende Frage gedruckt: „Wo fühlen Sie sich am wohlsten?“
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Überfüllt und chaotisch
Auf der überfüllten Leipziger Buchmesse wohl eher nicht. Obwohl nicht nur der Ehrengast mit einem beeindruckenden Programm und kulinarischen Köstlichkeiten am Stand, sondern auch die mit rosafarbenen Kunstblumen geschmückten Areale der New-Adult-Verlage für ein Hygge-Gefühl, also für das ultimative Wohlfühlerlebnis sorgen wollten.

Der Unmut vieler Messegäste über das Chaos im Eingangsbereich war aber so groß, dass nicht nur bei den abendlichen Partys noch geflucht, sondern auch in Boulevardmedien darüber berichtet wurde. Stundenlag warteten die Besucherinnen und Besucher schon früh am Morgen vor einem allzu langsamen Drehkreuz und verpassten nicht selten ihre ersten Termine und Lesungen.
Cosplay ist allgegenwärtig
Um den Erfolg der Eventmesse, auf der es nebenbei auch um Bücher ging, angemessen zu beschreiben, müsste man wohl einen an James Joyce geschulten Bewusstseinsstrom verfassen. In diesem stream of conciousness wären Klagen über die ständig steigenden Papierpreise, die Probleme in der Buchlogistik zu hören.
Es wären darin Fetzen aus vielen Preisreden der Messe montiert, etwa von Beate Tröger, Jurorin der SWR Bestenliste, die in Leipzig den Alfred-Kerr-Preis für Literaturkritik erhielt und die, passend zur Messefarbe dieses Jahres, über ein literaturberühmtes rosa Kaninchen sprach.
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Ein Schnipsel Fachsimpelei müsste Eingang finden in diese Messeliteratur, insbesondere über die verwegenen Sexual-Fantasy-Kostüme der Cosplayer, die inzwischen die Mehrheit des Publikums ausmachen. Vielleicht kämen auch kleinere Panne vor, wie die beinahe vergessene Laudatio auf die Buchpreis-Gewinnerin Kristine Bilkau.
Rechtsextremistische Verlage waren nicht dabei
Wer durch die fünf Hallen lief, erlebte wie auf jedem Messebesuch allerlei Kurioses, Widersprüchliches und zuweilen auch Erhellendes, traf Romane schreibende Fußballstars, Schauspieler und sich selbst lobende Politiker.
Ärger mit Verlagen aus dem rechtsextremen Spektrum gab es dieses Mal nicht, denn die wollten nicht länger in der Schmuddelecke stehen und hatten vor Messebeginn medienwirksam angekündigt, in Halle an der Saale ein Gegenprojekt zu starten. Das kann als Erfolg der Antifa gewertet werden, aber auch als Niederlage einer Gesellschaft, die es nicht mehr schafft, Debatten mit antagonistischen Positionen zu führen.
Streitgespräche wären dringend nötig
Wer sich die Ergebnisse zur Bundestagswahl vor allem in Ostdeutschland anschaut, hatte beim Zuhören der so gut wie nie kontroversen Podiumsdiskussionen der Messe zuweilen das beklemmende Gefühl, in ein politisch korrektes und gleichermaßen dystopisches Computerspiel geraten zu sein, das gewinnt, wer die meisten Harmoniepunkte sammelt.

Dabei wären Streitgespräche dringend nötig, nicht zuletzt auch über das einzig wachsende Buchsegment, das den Markt einigermaßen stabil hält. Es lohnt ein Blick in Texte mit Titeln wie „Mismatch“ oder „Deep End“, und zwar ganz ohne rosarote Brille.
„Romantasy“ mit reaktionären Geschlechterrollen
Der krasse Kitsch, der mal unter Vampiren, mal im Drachenmilieu, gerne an sagenumwobenen Schulen und Universitäten spielt, läuft grundsätzlich auf das bekannte Enemies-to-Lovers-Konzept hinaus: Die schöne, gute und junge Frau muss den attraktiven Bösewicht zähmen und wird dann mit leidenschaftlichem Sex belohnt.
Romance oder Dark Romance, Romantasy oder New Adult heißen die Genres in einem inzwischen ausdifferenzierten Segment der Trivialliteratur, das oft Softporno im Buchformat bietet. Aber wer will derlei Misstöne schon hören, wenn nach einem rosaroten Messefrühling in Leipzig die erstaunlichsten Besucherrekorde vermeldet werden?
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Buchkritik Tarjei Vesaas – Der Keim
Ein unerklärlicher Mord auf einer kleinen Insel; ein Racheakt, bei dem alle zusehen - und die Frage: Wie lebt man nach einem solchen Einschnitt weiter? Aus Tarjei Vesaas Roman "Der Keim" spricht eine tiefe Sehnsucht nach Humanität. Das Buch unterstreicht den literarischen Rang des 1970 verstorbenen Norwegers.
Aus dem Norwegischen von Hinrich Schmidt-Henkel
Guggolz Verlag, 232 Seiten, 24 Euro
ISBN 978-3-945370-39-1
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