Der iranisch-amerikanische Schriftsteller Kaveh Akbar erzählt in seinem hochemotionalen Debütroman von einem jungen, tieftraurigen Dichter, der von Märtyrern fasziniert ist.
Cyrus Shams leidet am Leben. Um seinen Kummer irgendwie erträglich zu machen, hat sich der Protagonist des Romans von Kaveh Akbar regelmäßig zugedröhnt. Mittlerweile nimmt der knapp dreißigjährige, tieftraurige Dichter, der nicht mehr als ein paar Verse veröffentlich hat, keine Aufputschmittel mehr und geht stattdessen zu den Treffen der Anonymen Alkoholiker.
Aber sein Leben wirkt jetzt noch trostloser und beliebiger. Während er früher wenigstens damit prahlen konnte: „Ich lebe die Gedichte, die ich nicht schreibe“, ist die Nüchternheit nur ernüchternd.
Ein großer Teil seiner psychischen Energie ging für widersprüchliche Gedanken über politische Haltungen drauf. Die Ethik von Mandelmilch. Die Moralität von Yoga. Die politische Aussage von Sonetten.
Die depressive Grundgestimmtheit hat verschiedene Gründe. Am schwersten wiegt die eigene Familiengeschichte. Auf dieser liegt der Fokus des sprachmächtigen Romans, der im Jahr 2017 spielt, aber immer wieder in die Vergangenheit springt und in fesselnden Szenen die Kindheit von Cyrus in Indiana im mittleren Westen der USA und das Leben seiner Eltern aus deren Perspektive in den 80er Jahren im Iran Revue passieren lässt.
Dazwischen gibt es surreale Traumsequenzen, in denen etwa ein an Donald Trump erinnernder Präsident, die Comic-Figur Lisa Simpson und der persische Dichter Rumi auftauchen.
Lähmender Zwang
Es ist vor allem der frühe Tod der Mutter, der Cyrus nachhaltig erschüttert. Diese kommt ums Leben, als 1988 gegen Ende des Iran-Irak-Kriegs eine fehlgeleitete amerikanische Rakete ihr Flugzeug trifft.
Sein Vater, betäubt von seinem Zorn, will alles hinter sich lassen und wandert mit dem Kind ausgerechnet in die USA aus, um auf einer Hühnerfarm zu schuften. Vater und Sohn bleiben Außenseiter im neuen Land.
Akbar schildert eindrücklich typische Migrantenbiografien, die vom „lähmenden Zwang“ bestimmt sind, andere keinesfalls zu verärgern. Als Cyrus erwachsen ist, stirbt sein Vater an einem Schlaganfall, so als hätte er gerade nur so lange wie nötig durchgehalten.
Meine Mom ist völlig sinnlos gestorben. Ein Rundungsfehler. Sie musste sich ihren Tod mit dreihundert anderen Leuten teilen. Und mein Dad ist sang- und klanglos gestorben, nachdem er jahrzehntelang auf einer Geflügelfarm Hühnerscheiße weggemacht hat. Mein Leben – mein Tod – soll mehr bedeuten.
Death-Speak
Die seltsam überdrehte Idee, dass ein besonderer Tod dem Leben Bedeutung geben soll, führt Cyrus auf die Spur historischer Märtyrer. Seine Wohnung hat er mit Bildern von Jeanne d’Arc tapeziert. Unklar ist allerdings, ob er ein Buch über Märtyrer schreiben oder selbst einer werden will.
Seine Suche führt ihn nach New York, wo die krebskranke Künstlerin Orkideh in einem Museum zum „Death-Speak“ einlädt. Für die Todesbesessenheit ihres Besuchers hat sie nur leisen Spott übrig.
Als die Welt eine Scheibe war, sind andauernd Menschen vom Rand gesprungen. Es ist nichts Bemerkenswertes daran, so zu sterben wie ich jetzt, aber ich hoffe, ich habe aus meinem Leben etwas Interessantes gemacht. Ein Alphabet besteht, genau wie ein Leben, aus einer endlichen Anzahl von Formen. Man kann daraus fast alles machen.
Die Begegnung wird zum Wendepunkt für Cyrus, der seine destruktive Weltsicht infrage stellt. Stattdessen wächst sein Glaube, dass sich auch aus einer zerbrochenen Biografie etwas machen lässt.
Man kann gegen diesen hochemotionalen Roman manches einwenden. Zum Beispiel, dass sich die manifeste Lebenskrise des Protagonisten etwas zu leicht und zuletzt begleitet von ganz unwahrscheinlichen Zufällen auflöst.
Auch seine Besessenheit von Märtyrern wird nicht gänzlich plausibel. Großartig ist der Roman jedoch dort, wo er in vielen Begebenheiten und Geschichten von einer Familie auf zwei Kontinenten erzählt, wo er die erbarmungswürdige Zerrissenheit und gequälte Identitätssuche seiner Hauptfigur präzise und einfühlsam erfahrbar macht.
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