Gewaltvolle Trauerarbeit trifft auf Serienmörder – Katniss Hsiaos Krimidebüt ist eine rasant-wilde überufernde Geschichte über eine Tatortreinigerin, die zur Hauptverdächtigen in einem Mordfall wird und sich selbst auf die Suche nach dem Täter macht. Dabei beweist Katniss Hsiao nicht nur ihre Genrekenntnis, sondern wirft einen faszinierenden Blick auf die taiwanische Gesellschaft.
Yang Ning ist Tatortreinigerin in Taipeh. Sie macht diesen Job seit einiger Zeit, sie braucht ihn – nicht nur aus finanziellen Gründen: Seit dem Selbstmord ihres jüngeren Bruders hat sie ihren exzellenten Geruchssinn verloren. Sie riecht nicht, schmeckt nichts, fühlt nichts. Mit einer Ausnahme: Sobald sie den Geruch von Leichen wahrnehmen kann, fühlt sie sich wieder lebendig.
Im Rausch der Gerüche
Auf den ersten Seiten des Thrillers „Das Parfüm des Todes“ von Katniss Hsiao gibt es viele dichte Beschreibungen von überwiegend ekligen Gerüchen. Für Yang Ning sind sie wie eine Droge, von der sie immer mehr braucht. Doch dann wird sie verhaftet: Üblicherweise wird ein Tatort erst gereinigt, wenn die Polizei alle Beweise gesichert hat.
Yang Ning wurde aber von einem Serienmörder an einen polizeiunbekannten Tatort gelockt und hat dort alle Spuren vernichtet. Für die Polizei ist sie damit die Hauptverdächtige. Yang Ning sucht daraufhin den Tatort abermals auf und entdeckt eine Spur, die nur sie finden kann: Den Geruch eines Parfüms. Sie erinnert sich, dass sie diesen Duft schon einmal gerochen hat: An der Kleidung ihres Bruders, als er noch gelebt hatte.
„Das Parfüm des Todes“ ist ein überwältigender Thriller, der alle Sinne ansprechen, ja, regelrecht sprengen will: Mitreißend, ungehemmt und voller Anspielungen auf Filme und Literatur. Bei einem Mörder mit Faible für Düfte denkt man sofort Patrick Süskinds „Das Parfüm“ – und Katniss Hsiao unterstreicht diese Verbindung, indem sie dem unbekannten Verdächtigen den Namen Grenouille gibt.
Ähnlich deutlich verfährt sie mit der zweiten großen Referenz: Wie in Thomas Harris‘ „Das Schweigen der Lämmer“ sucht Yang Ning Hilfe bei einem Serienmörder, der sie in die Denkweise solcher Täter einführen soll – und Yang Ning dann fast zärtlich „Lämmchen“ nennt.
Westlich geprägtes Genre trifft auf taiwanische Lebensrealität
Diese beabsichtigten Verweise auf genreberühmte Texte sind mehr als eine Spielerei: Katniss Hsiao verknüpft sie mit Einblicken in die taiwanische Gesellschaft. Die viel zu engen Wohnungen werden zu Tatorten. Traditionelle Werte lösen sich auf. Familiäre Bindungen zerbrechen. Der Druck, zu funktionieren, ist allgegenwärtig – ihm aber widersetzt sich Yang Ning.
Denn unter der brutalen Oberfläche, dem bewussten Provozieren olfaktorischen Ekels steckt in diesem mutigen, wilden Debütroman eine intensive Auseinandersetzung mit dysfunktionalen Familien und Trauer. Yang Ning verändert sich im Verlauf ihrer Nachforschungen. Sie lernt, ihre Impulsivität zu zügeln. Das macht sie gefährlicher. Und am Ende überschreitet dann auch sie eine Grenze in diesem überbordenden Debüt.
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