Während 99 Prozent ihres Erdenwandels haben die Menschen sich zwar gelegentlich die Köpfe eingeschlagen, aber keine Kriege geführt. Doch dann, vor etwa 5000 Jahren ging es los mit den Schlachten, Feldzügen und Eroberungen. Wie es dazu kam, erklären Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik in „Die Evolution der Gewalt“.
Der Mensch führt Krieg, immer wieder und weiter, und das trotz der ganz großen Schrecken des vergangenen Jahrhunderts. Dabei muss er gar nicht. Weder seine genetische Veranlagung noch das schlechte Beispiel des Brudermords von Kain an Abel zwingen ihn dazu. Das stellen Harald Meller, Kai Michel und Carel van Schaik gleich am Anfang ihres Buches „Die Evolution der Gewalt“ klar.
Darin gehen sie entlang der Menschheitsgeschichte der Frage nach: „Warum wir Frieden wollen, aber Kriege führen“. Und von vornherein machen sie deutlich, dass sie die verbreitete Ansicht, der Mensch sei eben von Natur aus ein kriegerisches Wesen, mit aller Entschiedenheit widerlegen wollen.
Kriegerische Schimpansen, friedfertige Urmenschen
Zu diesem Zweck stützen sie sich zunächst auf die Erkenntnisse der Evolutionären Anthropologie und Primatologie. Woraus sich für unsere nächsten Vorfahren allerdings ein eher bedenkliches Bild ergibt:
Die Schimpansen leben im permanenten Zustand eines latenten Krieges. Zwischen Schimpansen-Gemeinschaften gibt es keinen Frieden.
Trotzdem bleiben die Autoren zuversichtlich, denn die Archäologie liefert günstigere Indizien für ihre Kernthese, dass der Krieg kein Menschenschicksal sei. Zwar weisen Schädel, Skelette und Knochen aus urgeschichtlichen Grabstellen oft zahlreiche Spuren von Gewalttaten auf, aber von regelrechten Kriegen kann da noch keine Rede sein.
Wandernde Wildbeutergruppen setzten eher auf Kooperation und wenn größere Konflikte hochzukochen drohten, konnte man sich in den dünn besiedelten Landschaften der Steinzeit leicht aus dem Wege gehen.
Kriegskunst als Erwerbskunst
Das änderte sich dann mit Landwirtschaft, Sesshaftigkeit, Staatenbildung und der Inthronisation von Herrschern, die ihren Ruhm und Reichtum mehren wollten. Der griechische Philosoph Aristoteles brachte es so auf den Punkt:
Darum ist auch die Kriegskunst von Natur aus eine Art Erwerbskunst, die man anwenden muss gegen Tiere und gegen Menschen, die von Natur aus zum Sklavendienst bestimmt sind.
Krieg als Zivilisationsprodukt
Hier kommen nun nach der Anthropologie und der Archäologie die Geschichts- und Religionswissenschaften zur Geltung. Sie erklären die Rolle von Herrschern, Göttern und Staatsdenkern bei der offenbar unaufhaltsamen Herausbildung der „Kriegsmatrix“, wie die Autoren das nennen. Zugleich betonen sie jedoch:
Es ist eben nicht der Krieg aller Menschen. Es ist der Krieg von Staaten: Herrscher ziehen in den Krieg, Untertanen werden in den Krieg gezwungen. Der total gewordene Krieg ist ein Zivilisationsprodukt.
Als Evolutionsgeschichte der Gewalt ist das Buch, ungeachtet kleinerer Unstimmigkeiten, informativ, lehrreich und spannend zu lesen. Weniger gut steht es um die schöne These von der ursprünglichen Friedfertigkeit der steinzeitlichen Menschen, auch wenn die Autoren mehrfach darauf verweisen, dass die Menschheit während 99 Prozent ihres Erdenwandels ohne Kriege ausgekommen sei.
Der Vorschlag, daraus Folgerungen für heute abzuleiten, muss angesichts einer fünftausendjährigen Geschichte von kriegsgeprägten Zivilisationen als ziemlich unhistorisch erscheinen. Trotzdem kann der politische Rat, den die Autoren zum Schluss geben, im Sinne von Aufklärung und Menschlichkeit nützlich sein.
Der Krieg, so sagen sie, ist weder naturgegeben noch gottgewollt, sondern meist von einseitigen Interessen geleitet. Und darum sei es wichtig, denen genau auf die Finger zu sehen, die ihn führen wollen.
Mehr von den Autoren
Buchkritik Carel van Schaik, Kai Michel - Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern
Die Kultur, nicht die Biologie macht Frauen das Leben schwer.
Rezension von Barbara Dobrick.
Rowohlt Verlag, 704 Seiten, 26 Euro
ISBN 978-3-498-00112-4
Archäologie Himmelsscheibe von Nebra: aufwendiger hergestellt als vermutet
Die Himmelsscheibe von Nebra ist mehr als 3600 Jahre alt und die bisher älteste Darstellung konkreter astronomischer Phänomene. Wie sie genau gemacht wurde, war bisher nicht restlos geklärt. Jetzt gibt es neue Erkenntnisse. Es war aufwendige Schmiedekunst nötig.
Martin Gramlich im Gespräch mit Prof. Harald Meller, Direktor Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Audio zur Sendung | 15.1.2021 Prof. Carel van Schaik | Verhaltensforscher
Er kommt aus Rotterdam. Er ist Verhaltensforscher und Evolutionsbiologe. Und er war bis zu seiner Emeritierung 2018 Professor für biologische Anthropologie an der Universität Zürich. Schaik hat 20 Jahre lang Orang-Utans auf Borneo und Sumatra beobachtet, deren Sozialverhalten erforscht und signifikante Querverbindungen zu uns Menschen gefunden. In seinem neuen Buch, das van Schaik zusammen mit Kai Michel geschrieben hat, kümmert er sich um ein Menschheitsthema: „Die Wahrheit über Eva. Die Erfindung der Ungleichheit von Frauen und Männern“.
Moderation: Wolfgang Heim