Eva Rottmann schreibt aus Teenagersicht, ist Mutter von zwei Kindern, skatet und lebt in Zürich. Ihr neues Buch „Kurz vor dem Rand“ wurde gerade mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
Das Tagebuch einer Skaterin
Gebrochenen Herzens beginnt die siebzehnjährige Skaterin Ari Tagebuch zu schreiben und erzählt rückblickend von den zwei Wochen ihrer ersten Liebe. Erwachsene Leser*innen erinnern sich zurück: in zwei Wochen kann viel passieren, wenn man jung ist. Jüngere wissen das selbst nur zu gut.
Das Tagebuch hat sie von Vater Bob, der ihr Auffangnetz ist, während die stets abwesende Mutter Fanni eher ein Leben auf dem Drahtseil führt. Familienstatus: Es ist kompliziert.
Suchen nach Identität, erstes Begehren, Rollenklischees – alles ist hier sowohl präsent als auch gleichgültig. Dass es alles gibt und geben kann, Schubladen aber wirklich oldschool sind, ist selbstverständlich. Daher wird auch konsequent gegendert – Com‘on, es ist 2024. Damit muss man jetzt klarkommen.
Die Erzählweise ist dicht und authentisch. Eva Rottmann schafft Nähe zur Normalität des jungen Mädchens und ihrer Freunde, die sich schon seit dem Kindergarten kennen. Bei kaum einer Familie reicht das Geld bis Monatsende, von Urlaub ist keine Rede, das schweißt zusammen. Bei Regen im Parkhaus, sonst auf der Halfpipe. Immer skaten, immer zusammen.
Beim Skaten hilft Basishass
Tom. Der arrogante Neue, der gesponserte Skate-Profi fährt Ari voll in die Parade. Ari ist skeptisch.
Aber in Tom steckt auch viel Wut. Basishass nennt Ari das und kennt das genau, Basishass ist sozusagen der Antrieb zum Skaten, wo das Denken in den Körper rutschen kann, der Kopf endlich Ruhe gibt. Ari und Tom brauchen und lieben diese gedankliche Schwerelosigkeit. Und Ari fühlt Toms Schmerz, der noch viel größer ist als ihrer, seit Tom seinen Vater durch Suizid verloren hat.
Ari lernt, dass es Mut braucht zum Leben. Sei es, um im Morgengrauen auf dem Board den steilsten Berg der Stadt hinabzurasen, sei es, um Tom ihre Gefühle zu gestehen, sei es, um wieder aufzustehen, wenn man gefallen ist. Mit Hinfallen kennt sie sich zum Glück aus.
Deutscher Jugendliteraturpreis für Eva Rottmann
„Kurz vor dem Rand“ berührt viele, zum Teil schwere Themen für ein Jugendbuch, das dadurch – und das dürfte vielleicht der einzige Kritikpunkt sein – gelegentlich etwas konstruiert erscheinen mag. Aber dennoch hat Eva Rottmann einen beeindruckend authentischen Coming-of-Age-Roman geschrieben. Über wahre Freundschaft, erste Gefühle, gute und beschissene Eltern und über die Diversität von Geschlechtern und Rollen bzw. darüber, dass man diese vielleicht gar nicht braucht, weil man einfach nur als man selbst schon liebenswert ist.
Aufwühlend, rasant, rau und zart zugleich und aus guten Grund auf der Frankfurter Buchmesse 2024 mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet.
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