Kleiderwechsel, Flüche, getauschte Ringe, Briefe oder Tücher. In Shakespeares Werk kommen diese Motive immer wieder vor. Elisabeth Bronfen betrachtet diese Wiederkehr als Serien und beschreibt sie in ihrem neuen Buch.
Lediglich drei oder vier Stücke habe Shakespeare geschrieben und sie in unterschiedlichen Registern wiederholt und variiert – davon war der große Theatertheoretiker Jan Kott überzeugt.
Sein bis heute für Literaturwissenschaftler und Regisseure gleichermaßen relevantes Werk „Shakespeare heute“ hat auch die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen verinnerlicht und auf die Idee gebracht, sich das Oeuvre des englischen Dramatikers als Setzkasten vorzustellen, mit Figuren, Ästhetiken und Themen darin, die durch immer wiederkehrende Situationen oder Rhetoriken vorgetragen werden.
Shakespeares Oeuvre als Serie aus Krieg, Liebesverrat und Traumwelten
Wie wäre es, fragte sich die Akademikerin, dieses Oeuvre zu zerstückeln und eine Serie daraus zu entwickeln? Zu untersuchen, wie oft und in welchen Zusammenhängen Kleiderwechsel erfolgen, Tücher, Ringe und Briefe getauscht oder Flüche hervorgestoßen werden. Welche Rolle immer wieder Krieg, Liebesverrat oder die Welt der Träume spielen.
Auf nahezu 400 Seiten verlegt die versierte Shakespearekennerin immer neue Gedankenschnüre von Motiv zu Motiv, Stück zu Stück, Szene zu Szene. Als Leser kann man mitunter schnell einmal den Faden verlieren zwischen all den Figuren, Konflikten und Katastrophen, die meist nur kurz skizziert und aus ihrem Zusammenhang gelöst werden, bevor es zum nächsten Werk, einer neuen Verknüpfung geht.
Den Lesefluss hindert auch, dass alle Stückzitate auf Englisch eingefügt und nicht übersetzt werden. Hat man sich aber eingelassen auf die nicht ganz einfache Lektüre, setzt der Sog der Serie ein.
Die Lektüre Shakespeares ist nie erschöpfend, weil sie immer wieder von neuem ansetzen kann, weil jede Aussage eine Annäherung, keine endgültige Festlegung ist, weil alles auch nochmals anders gedacht, und anders erzählt, werden könnte.
Schmuckstücke wechseln folgenreich den Besitzer
So lohnt es sich auf jeden Fall, Shakespeares Stücke parallel zur Hand zu nehmen, um sich mehr als nur einzelne Sequenzen oder Motive zu vergegenwärtigen. Mit Elisabeth Bronfens aufschlussreichen Analysen lassen sie sich dann tatsächlich neu ergründen. Was zirkulierende Juwelen betrifft zum Beispiel.
Keine Gegenstände würden so oft verschickt, verschenkt oder vertauscht in Shakespeares Dramen wie Schmuckstücke, heißt es da. Richard III. allerdings täusche mit dem Ring, den er Lady Anne schenkt, nur Treue vor, während Rosalind zu Beginn von „Wie es euch gefällt“ Orlando eine Kette als echten Liebespfand übergebe, ganz zu schweigen von der wohl berühmtesten Liebenden und Leidenden der Dramengeschichte.
Juliet setzt ihrerseits einen Ring als Köder ein, um nach ihrer geheimen Hochzeit den Bräutigam zu sich zu lotsen. Sie bittet ihre Amme, »find him, give this ring to my true knight and bid him come to take his last farewell«
In den acht Kapiteln des Buches wechseln neben Schmuckstücken auch Tücher, Briefe oder Kleider folgenreich den Besitzer, werden Königinnen ins Zwielicht ihrer Macht gesetzt oder Traumwelten durchmessen. Und es wird der Krieg als Fortsetzungsdrama in den Fokus gerückt.
Feldzüge und Schlachten waren zu Shakespeares Zeiten allgegenwärtig. Gekämpft wird in seinen Stücken viel und blutig. Aber, und das interessiert Elisabeth Bronfen weit mehr, nicht nur auf dem militärischen Schlachtfeld.
So wird beispielsweise in den Komödien Wortwitz gern als Waffe eingesetzt. Die Liebeswerbung nimmt die Gestalt eines romantischen Scharmützels ein, in dem Verkleidungen, Täuschungen so wie verbale Gewalt mobilisiert werden.
Herausfordernde Lektüre mit vielen Fakten, Figuren und Fallbeispielen
All das findet sich in der flirrenden Komödie „Viel Lärm um nichts“, deren dramaturgischer Ausgangspunkt die Fortsetzung des Krieges als Liebeswerbung ist. Don Pedro kommt mit seinen Kumpanen nach erfolgreichem Feldzug nach Messina zurück. Die Kriegslust scheint allerdings noch nicht befriedigt und so wird Hero, die Tochter des Gouverneurs, zum Gegenstand einer Wort- und Werbungsschlacht am Hof.
Bevor die Autorin aber genauer darauf eingeht, strebt sie schon weiter zum nächsten Stück und weiter und weiter. Fädelt immer neue Fakten, Figuren und Fallbeispiele auf ihre Gedankenschnüre. Am Ende ist es der Leser, der sie nach herausfordernder Lektüre zusammenbinden muss. Wie sagt Shakespeare: „Es steigt der Mut mit der Gelegenheit.“
Zeitgenossen Elisabeth Bronfen: „Mich interessieren die Ränder dessen, was wir begreifen können.“
Wie viel Shakespeare steckt im Netflix-Boom unserer Tage? Warum müssen Frauen in der Kunst so oft sterben - von Richard Wagners Isolde bis zur Femme fatale im Film noir? Und was verraten uns Zombie- und Vampir-Filme über unseren Umgang mit der Corona-Pandemie? Die Fragen, die die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen stellt, sind ungewöhnlich, manchmal unheimlich und immer originell. Und sie überschreitet dabei Grenzen, zwischen Literatur, Oper und Film. Und auch zwischen Europa und den USA, denn Elisabeth Bronfen lehrt an der Universität Zürich und an der New York University.
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