Nach 30 Jahren wurde der literarische Nachlass des Literaturnobelpreisträgers Elias Canetti in der Mainzer Akademie der Wissenschaft erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. SWR-Journalist Alexander Wasner war vor Ort und berichtet über die besonders bemerkenswerte, kritische Auseinandersetzung Canettis mit seiner Zeit.
Brückenbauer zwischen den Jahrzehnten
„Elias Canetti ist einer der großen europäischen Schriftsteller des 20.Jahrhunderts“, so Alexander Wasner. Bis in die 1990er-Jahre habe er in Artikeln, Interviews und Büchern beschrieben, was es in der Moderne heißt, Mensch zu sein.
Canetti kam aus Bulgarien, wo er als sephardischer Jude Spanisch gelernt hat, später wurde Deutsch zur „Sprache seines Geistes“ und erst Wien und dann Zürich zu Lebensmittelpunkten. Er hat Dramen geschrieben, ein bis heute aktuelles Buch über das Verhältnis von „Masse und Macht“, den Roman „Die Blendung“ – und vor allem seine klugen, unterhaltsamen Lebenserinnerungen: „Die gerettete Zunge“, „Fackel im Ohr“ und „Augenspiel“.

„Er war für viele Menschen eine Brücke zwischen der reichen Kulturszene der 1920er Jahre und der Welt nach dem Fall der Mauer 1989“, sagt Wasner in SWR Kultur.
Hanser Verlag will Canettis Werk neu herausgeben
Nun fördert die Mainzer „Akademie der Wissenschaften und der Literatur“ die Neuausgabe des Werks von Canetti, das im Hanser Verlag erscheinen soll. Deshalb wurde im Sitzungssaal der Akademie der Nachlass vorgestellt
„Einige der vorgestellten Texte zeigten seine scharfzüngige Art, etwa als er über eine misslungene Vorlesung urteilte: 'In Wien will ich so lesen, dass die Wiener sich schämen, falls die Wiener das überhaupt können.'“, berichtet Alexander Wasner.
Parallelen zwischen „Die Blendung“ und „Die Blechtrommel“
Auch andere Autoren bekamen ihr Fett weg, so etwa Literaturnobelpreisträger Günter Grass. Dessen „Blechtrommel“ habe deutliche Anleihen aus Canettis Roman „Die Blendung“: Der Zwerg, das Irrenhaus, der Rock, das Guckloch – vieles sei schon bei Canetti vorgekommen.
Elias Canetti berichtet in seinen Tagebüchern, wie Graß bei einem Treffen so getan habe, als kenne er Elias Canetti gar nicht. Canetti erhielt den Nobelpreis 1981, Grass 18 Jahre später. „Ich sagte ihm, dass ich das Buch mag, ich grolle Dieben nicht“, meinte Canetti bei einer Begegnung.
30 Jahre mit Veza Canetti verheiratet
Besonders bewegend waren Canettis Aufzeichnungen über den Tod seiner Frau Veza, die in seinen Tagebüchern dokumentiert sind. Veza Canetti war selbst Schriftstellerin und in den letzten Lebensjahren schwer depressiv.
Ein Satz aus diesen Notizen sorgte für Gänsehaut: „Wie glücklich ich in meiner Düsterkeit war. Nach dieser Schwere sehne ich mich wie nach dem ewigen Leben.“
Gedanken zur amerikanischen Gesellschaft
Auch Canettis Gedanken zur amerikanischen Gesellschaft wurden diskutiert. Laut Canetti seien die Menschen dort „von der Teilnahme an großen Zahlen völlig besessen" und hofften, "eines Tages denselben Glanz zu verbreiten“ wie die Elite.
Am Ende des Abends war klar: Elias Canetti bleibt ein hochaktueller Autor, dessen Werk auch heute noch viel zu sagen hat.
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Gedichte und ihre Geschichte Günter Grass: Die Schweinekopfsülze
Günter Grass ist bekannt dafür, dass es in vielen seiner Texte ums Essen geht. Zum Beispiel in der „Blechtrommel“, in „Beim Häuten der Zwiebel“ und in dem Erzählgedicht „Die Schweinekopfsülze“. Diesen Text veröffentlichte er 1967 in dem Lyrikband „Zorn Ärger Wut“. Obwohl sich das Gedicht vordergründig wie ein detailreiches Rezept liest, steckt darin Kritik und Protest. Die wichtigste Zutat in dieser Sülze: Die Wut.