150. Todestag des schwäbischen Dichters

Michael Krüger über Eduard Mörike: „Seine Gedichte haben mit Biedermeier nichts zu tun“

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Kaum ein Dichter spaltet die Deutschen so sehr wie Eduard Mörike. Manche sehen ihn als großes literarisches Genie, andere bespötteln den schwäbischen Pfarrer aus Ludwigsburg als „schwäbisches Biedermeier“. Für Autor und Ex-Verleger Michael Krüger ist Mörike (150.Todestag am 4. Juni) „eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Literatur“.

Falsches Bild durch Gelegenheitsgedichte

Krüger ist der Ansicht, dass Mörikes Werk verkannt wird: „Der Kern seiner Gedichte hat mit Biedermeier nichts zu tun“, sagt der 81-Jährige, der 2006 von der Stadt Fellbach mit dem Eduard-Mörike-Preis ausgezeichnet wurde. Das Fehlurteil erklärt er sich mit der Tatsache, dass Mörike viele Gedichte für Freunde geschrieben hat: „Die sind alle so ein bisschen gemütlich.“ Übersehen werde dabei, dass sich Mörike intensiv mit der Schöpfung auseinandersetzte und Sprachspiele schuf, die - so Krüger - an Ernst Jandl erinnern.

Michael Krüger
Der Dichter, Autor und Ex-Verleger Michael Krüger

Erklärung für die Weltflucht

Auch den Verwurf der Kritiker, Mörike habe in seinen Gedichten und Märchen eine Weltflucht betrieben, will Krüger nicht stehen lassen. „Da wird übersehen, dass er doch ein sehr kritischer Theologe war, dass er sehr an seinem Beruf und seinem Glauben gezweifelt hat“, meint Krüger. In Wahrheit habe sich Mörike als Mensch sehr geöffnet, sei aber in entscheidenden Fragen sehr diskret geblieben.

Typ mit Gefühl für Reim und Rhythmus

Den Vergleich mit den - in Schwaben gern zitierten - Dichter-Helden Schiller, Hegel, Uhland und Hauff, müsse Mörike nicht scheuen, erwidert Krüger auf kritische Fragen. „Wer liest heute noch Uhland?“ Dessen Werke seien zudem längst nicht so gut vertont worden wie die von Mörike und verweist auf die Lieder von Hugo Wolf: „Das ist einfach mit das Schönste an deutschem Lied, was man haben kann.“ Ähnliches gelte für Mörikes Übersetzungen antiker griechischer Autoren: „Der Typ hat den Reim, den Rhythmus gekonnt wie kaum ein anderer.“

Ein Großer der deutschen Dichtung

Für Michael Krüger ist nicht das berühmte „Er ist's“-Gedicht mit den Zeilen „Frühling lässt sein blaues Band / Wieder flattern durch die Lüfte“ das Paradebeispiel für Mörikes Können. Noch viel besser sei „An eine Lampe“, glaubt er: „Das ist eines der perfektesten deutschen Gedichte - geradezu über-perfekt.“ Sein Urteil zu Mörike: „Eine der interessantesten Persönlichkeiten der deutschen Literatur - gerade, weil er so ein verquollenes Leben geführt hat.“

Michael Krüger wurde 1943 geboren. Er arbeitet als Schriftsteller, Übersetzer und Laudator. Von 1968 an war er fast drei Jahrzehnte lang Lektor, dann Verleger und Geschäftsführer des Hanser Verlags.

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Das Interview führte
Rainer Volk
Interview mit
Michael Krüger