Drei Hauptfiguren und ihre Schicksale
„Flusslinien“ erzählt von drei Menschen an zwölf Tagen im Frühsommer, die sie verändern werden. Ähnlich wie ein Fluss, der sich immer verändert und der nie der gleiche bleibt, so Katharina Hagena. In ihrem Roman ist es die Elbe, die für Veränderung steht.
Es ist ein wunderbares Bild für Dinge, die gleich bleiben und doch in sich immer verändern. […] Der Fluss ist immer in Bewegung, hört nie auf.
Die Autorin stellt das Lineare heraus, das das Leben und die Sprache eben mit sich bringen, die aber auch wild und kontrastreich gegenüber der Realität sein können.
102-jährige Romanheldin
Die Heldin des Romans ist Margrit. Sie ist 102 Jahre alt und lebt in einer Seniorenresidenz an der Elbe. Ihre Tage verbringt sie im Römischen Garten, wo sie Erinnerungen an ihre Kindheit und den Krieg einholen und sie viel über die Gärtnerin des Parks nachdenkt.
Hagena sagt im Gespräch, es sei ihr nicht schwerer gefallen, sich in eine über 100-Jährige hinzuversetzen als in einen Mann zum Beispiel. Denn das sei nun mal ihre Arbeit als Schreibende. Manchmal sei es sogar einfacher, sich in jemanden hineinzuversetzen, der ein bisschen weiter weg von der eigenen Realität sei. Auf die Frage, ob Hagena mit ihrer Geschichte eine Utopie beschreibe, antwortet sie: „Es ist die Möglichkeit einer Utopie.“
Altsein ist oft wie Kindsein, ohne dabei noch irgendwen zu entzücken.
Die Stille, die beginnt, wenn der Besuch gegangen ist
Katharina Hagena beschreibt in ihrem Roman eine Stille, die beginnt, wenn der Besuch gegangen ist. Sie habe von einer Sprache gehört, in der es genau dafür ein Wort gebe. Für die Suche nach dieser Sprache hat Hagena zum allerersten Mal die KI befragt, aber selbst damit konnte sie nicht herausfinden, um welche Sprache es sich handelt.
Die Sprache spielt auch für die Romanfigur Arthur, den Fahrer der Seniorenresidenz, eine große Rolle. Wenn er nicht gerade Margrit in den Römischen Garten, andere Bewohner der Residenz zur Dialyse fährt oder den Strand nach Metallgegenständen absucht, erfindet er Sprachen. Über einen solchen Sprachen-Erfinder habe sie schon immer mal schreiben wollen, sagt Hagena. Auch sie selbst trage ein großes Bedürfnis in sich, eine Sprache komplett neu zu erfinden.

Versteckte vierte Hauptfigur
Eine weitere Hauptfigur in „Flusslinien“ ist Luzie, die 18-jährige Enkelin Margrits. Die beiden verbinde ein besonders inniges, aber auch vorsichtiges Verhältnis, erzählt Hagena. Kurz vor dem Abitur hat Luzie die Schule abgebrochen, ist nun Tattoo-Artist und schläft in einer Hütte am Fluss. Ihre Großmutter bietet Luzie an, ein Tattoo-Großwerk auf ihrem Körper zu vollenden.
Ich wünsche mir, dass meine Figuren sich gegenseitig stärken können und nicht trösten.
Doch neben Margrit, Arthur und Luzie gibt es noch eine weitere, jedoch versteckte, tragende Figur in Katharina Hagenas neuestem Roman – nämlich Else Hoffa, die in den 1910er Jahren den Römischen Garten in Hamburg gestaltete, den Garten, in den Margrit sich jeden Tag von Arthur fahren lässt.
Hagena erzählt, dass sie sich das erste Mal in einem ihrer Romane entschieden habe, eine historische Figur auftauchen zu lassen. Ihre täglichen Spaziergänge entlang der Elbe und des Römischen Gartens haben sie dazu inspiriert, Else Hoffa in ihren Roman einzubringen. Die Autorin habe sehr viel zu dieser Figur, über die wenig bekannt ist, recherchiert und so ihre Geschichte in „Flusslinien“ einfließen lassen.
Kleine Dinge, die ein Muster ergeben
Obwohl die Hauptfiguren in „Flusslinien“ ganz unterschiedliche Themen begleiten, finden sie in der Geschichte alle zusammen. Auf die Frage, wie die Autorin beim Schreiben vorgeht, um diese Ideen eins werden zu lassen, erzählt sie, dass sie zum Beispiel häufig auf ihre Träume zurückgreift, die während des Schreibprozesses an einem Buch oftmals umfangreicher und lebhafter ausfallen. So kam ihr zum Beispiel auch die Idee eines im Stummen spielenden Orchesters, das im Buch aufkommt.
Sie erzählt: „Dieser Moment, wo dann diese kleinen Dinge sich wie aus dem Wasser zu erheben scheinen und ein Muster ergeben, das ist ein wirklich beglückender Moment. Und dann kommt eben die Arbeit.“

Auf die Frage, ob Katharina Hagena hoffe, dass ihr neuer Roman verfilmt wird, verneint sie deutlich. Sie wolle, dass die Menschen die im Roman kreierten Bilder weiterhin in ihren Köpfen sehen. Seit dem weltweiten Erfolg ihres Romans „Der Geschmack von Apfelkernen“, der 2013 verfilmt wurde, habe sie sich befreit und als Autorin ernstgenommen gefühlt, gleichzeitig seien jedoch der Druck und die Erwartungen gestiegen.