Mary Shelleys Roman „Frankenstein“ von 1818 ist mystisch und visionär. Frankensteins Monster hat sich in unsere Vorstellungen gebrannt, so unheimlich ist die Idee von der Erschaffung einer menschenähnlichen Kreatur. Die Parallelen zu heute sind erstaunlich: Klimawandel, der Umbruch in eine neue technische Epoche und der Drang, mit humanoiden Robotern und Künstlicher Intelligenz ein Abbild des Menschen zu schaffen.
Wie ist dieser wirkmächtige Mythos entstanden? Die Spur führt in einen Anatomiesaal in Ingolstadt, an die Universität Oxford, wo das Manuskript von Mary Shelley aufbewahrt wird, und zu einem Roboterforscher in Wien.
Die Schöpferin Mary Shelley

Es war das Jahr 1816, das „Jahr ohne Sommer“, welches von Dunkelheit und Angst der Menschen bestimmt war. Nachdem 1815 der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen war, herrschte ein plötzlicher, dramatischer Klimawandel, den die Menschen sich aber nicht erklären konnten.
Der berühmete Schauerroman glänzt selbst mit einer legendären Schöpfungsgeschichte: Mary Shelley, die Schöpferin von „Frankenstein“, verbrachte in diesem Jahr zusammen mit ihrem späteren Ehemann Percy Shelley und Dichterfürsten Lord Byron einen Urlaub am Genfer See. Das dunkle Wetter mag der Idee, sich die Zeit mit Schauergeschichten zu vertreiben, zuträglich gewesen sein. Hier hatte Shelley den Einfall zur Geschichte um Frankensteins Monster.
Ungebeten hatte meine Phantasie völlig Besitz von mir ergriffen
Mary Shelley, die mit 18 Jahren mit dem Schreiben des Romans begann, wurde häufig verdächtigt, Frankenstein nicht selbst geschrieben zu haben. Das Verfassen eines so komplexen Romans mit politischen, technologischen und philosophischen Zeitbezügen wurde einer jungen Frau nicht zugetraut.
Als sich die Literaturwissenschaft der 1970er und 80er Jahren, mit „Frankenstein“ beschäftigte, interessierte sich kaum jemand für den Klimawandel in den Entstehungsjahren der Geschichte. Da das Thema innerhalb der letzten Jahre in aller Munde ist, findet auch das „Jahr ohne Sommer“ deutlich mehr Beachtung in der Rezeption.
Der Mythos Frankenstein

Moralische und ethische Grenzüberschreitung in der Wissenschaft – dafür steht die Geschichte Frankensteins weltweit. Und sie ist ein Beispiel dafür, wenn Fiktion und historische Fakten ineinander übergehen.
Bis heute zieht es viele Menschen nach Ingolstadt, der Geburtsstadt der Kreatur, um bei Grusel-Stadtführungen dem Mythos Frankenstein auf die Spur zu gehen. Manchen Besucherinnen und Besuchern ist dabei nicht bewusst, dass es Frankenstein in Ingolstadt nicht gegeben hat und es sich dabei um eine fiktive Figur handelt.
Mensch und Maschine
Ich sah das abscheuliche Phantom eines Mannes ausgestreckt daliegen und plötzlich mithilfe einer gewaltigen Maschine Lebenszeichen von sich geben und sich mit einer noch schwerfälligen und ungelenken Bewegung rühren.
„Frankenstein“ wurde 1931 erstmals verfilmt. Die Szene, in der das Monster von der Maschine angetrieben wird, brannte sich ins kollektive Gedächtnis ein. Frankenstein, vom Tod der Mutter traumatisiert, lebt im Wahn und träumt davon, wie Gott neues Leben zu erschaffen, welches ein starkes und perfektes Abbild des Menschen sein sollte.
Seine Gliedmaßen waren richtig proportioniert und ich hatte ihm auch gefällige Gesichtszüge gegeben. Gefällig! Großer Gott! Die gelbliche Haut bedeckte kaum die darunter arbeitenden Muskeln und Adern; sein Haar war glänzend schwarz und wellig; seine Zähne perlweiß; aber diese Vorzüge bildeten nur einen umso grässlicheren Gegensatz zu den wässrigen Augen, die fast dieselbe Farbe hatten wie die trübweißen Höhlen, in denen sie saßen, zu der runzligen Gesichtshaut, zu den schmalen schwarzen Lippen.
Das Gefühl der Unheimlichkeit und des Grauens entsteht, wenn der Unterschied zwischen einem wirklichen Menschen und der Nachbildung eines Menschen sehr gering ist. Mary Shelleys entwickelter künstlicher Mensch lädt also zum Gruseln ein, da sie ihn aus menschlichen Gliedmaßen und nicht aus Maschinenteilen zusammensetzt.