Im November 2013 traf Taifun Haiyan auf die Philippinen. Von den Folgen des Unglücks für die Stadt Tacloban erzählt Daryll Delgado in ihrem herausragenden Roman „Überreste“.
Nachdem Taifun Haiyan über die Philippinen gefegt war, reiste die Autorin und Journalistin Daryll Delgado sofort zurück in ihre Heimatstadt Tacloban. „Alles sah matschig und vergammelt aus“, erinnert sie sich, „und wir sahen sogar Tote auf der Straße liegen.“ Es herrschte totales Chaos. Von genau diesem Chaos erzählt sie in ihrem Roman „Überreste“.
Hauptfigur Ann ist anfangs eine Besserwisserin
Darin kommt Hauptfigur Ann – vielleicht ein Alter Ego von Daryll Delgado – nach Tacloban zurück, um zu den Folgen des Taifuns zu recherchieren. „Ann ist eine ziemliche Besserwisserin“, findet Daryll Delgado. „Aber im Laufe der Geschichte wird sie mit ihren Grenzen konfrontiert“ – auch in Bezug auf die eigene Familiengeschichte, mit der sie im zerstörten Tacloban stark konfrontiert wird.
Ein Roman mit Waray-Worten
Ann findet auch zurück in ihre Muttersprache. Es ist nicht das Tagalog, das im Großraum Manila gesprochen wird, sondern das Waray. Daryll Delgado hat den Roman „Überreste“ auf Englisch geschrieben, aber viele Waray-Wendungen einfließen lassen.
Diese findet man auch in der deutschen Übersetzung. „Die Figuren sollten denken und reden wie Waray-Sprecher“, sagt Delgado. „Ich wollte den Roman auch für meine Waray-Leute schreiben. Sie sollten sich und ihre Stimmen darin wiederfinden.“
Taifune in der philippinischen Literatur
Taifune spielen in der philippinischen Literatur übrigens eine große Rolle. „Auch im Kino, in Songs und in den oralen Erzähltraditionen der verschiedenen philippinischen Völker kommen Taifune häufig vor“, erklärt Daryll Delgado. „Taifune sind einfach Teil unseres Kontextes.“
Allerdings werden die Stürme immer stärker. „Sie werden häufiger, unvorhersehbarer und auch zerstörerischer. Sie wirken sich daher immer verheerender auf die Menschen aus“, sagt Delgado. Auch davon handelt ihr bemerkenswerter Roman „Überreste“.
Mehr philippinische Literatur
Buchkritik Jose Dalisay – Last Call Manila
In Dschidda ist ein philippinisches Hausmädchen umgekommen. Offenkundig ertrunken. Genaueres aber kann der philippinische Ermittler kaum herausfinden, kräht nach einer Arbeitsmigrantin mit falschem Pass doch kein Hahn. In „Last Call Manila“ erzählt Jose Dalisay von moderner Leibeigenschaft und zeichnet zugleich ein detailreiches Gesellschaftspanorama der Philippinen.
Rezension von Katharina Borchardt.
Aus dem Englischen von Niko Fröba
Transit Verlag, 208 Seiten, 22 Euro
ISBN 978 3 88747 399 0
Lesung Thilo Diefenbach (Hg.) – Zwischen Himmel und Meer. Eine Anthologie taiwanischer Literaturen
„Zwischen Himmel und Meer“ – da ungefähr liegt die Insel Taiwan. Genauer gesagt: 130 km vor der chinesischen Küste, aufgefädelt zwischen Japan und den Philippinen. Von dort kommt jetzt eine umfangreiche und außergewöhnlich vielfältige „Anthologie taiwanischer Literaturen“. Literaturen im Plural, weil es auf Taiwan neben dem vorherrschenden Mandarin auch das Taiwanische gibt, außerdem das Hakka und eine Vielzahl indigener Sprachen. Da Taiwan bis 1945 von Japan kolonisiert war, gehören für mehrere Jahrzehnte auch japanische Texte zur taiwanischen Literatur.
„Zwischen Himmel und Meer“ heißt die zauberhafte Anthologie, die Legenden und Lyrik, moderne Prosa und Essay aus mehreren Jahrhunderten bietet. Jeder Text wurde umfangreich und teils auch sehr unterhaltsam kommentiert. Die Lektüre dieser Anmerkungen allein ist schon ein großes Vergnügen.
Hören Sie auf SWR2 zwei Gedichte aus der Anthologie: eins von 1661 und eins von 2014.
Lesung von Johannes Wördemann.
Iudiucium Verlag, 548 Seiten, 48 Euro
ISBN 978-3-86205-559-3
Buchkritik Archie Oclos – Die Straßenkatzen von Manila
Im Comic „Die Straßenkatzen von Manila“ blickt Archie Oclos mit den Augen von sechs Katzen auf das menschliche Treiben der philippinischen Hauptstadt. Sie sehen Armut, Korruption und Gewalt. Aber auch unerwartete Hilfsbereitschaft.
Rezension von Silke Merten
Mehr aktuelle Literaturthemen
lesenswert Magazin Keine Panik! Neue Philippinen-Bücher und eine wüste Poetikvorlesung
Wir lernen heute die Philippinen kennen. Außerdem schauen wir Barbi Marković beim Verfertigen einer Poetikvorlesung zu. Und wir tauchen tief in die Frauen-Buch-Bewegung ein.
Die Safe Spaces der 1970er Jahre „Frauenbuchläden waren anfangs auch Beratungszentren“: Die Geschichte der Frauen-Buch-Bewegung
Die Frauen-Buch-Bewegung – jetzt erstmals aufgearbeitet! In ihrem Buch „Sand im patriarchalen Getriebe“ erzählt Doris Hermanns ein Stück westdeutscher Literaturgeschichte.
Katharina Borchardt im Gespräch mit Doris Hermanns
Buchkritik Barbi Marković – Stehlen, Schimpfen, Spielen
13 Tage hat die Schriftstellerin Barbi Marković Zeit, um eine Super-Poetikvorlesung zu fabrizieren. Dabei geht es um alles: ihren Werdegang, ihr Schreiben, die Sache mit Thomas Bernhard und den höheren Sinn von allem. Alles weitere dazu steht in ihrem Buch „Stehlen, Schimpfen, Spielen".
Rezension von Eberhard Falcke
lesenswert Feature Verborgenheit – Auf der Suche nach dem Dichter Eduard Mörike
Viele Straßen und Schulen tragen seinen Namen, Eduard Mörike, er war Dichter, Pfarrer, Schwabe. Aber wer kennt noch seine Lyrik?
Norbert Hummelt beweist, dass es sich allemal lohnt, seine Gedichte wieder zu entdecken, zu lesen, ja, auswendig zu lernen.
lesenswert Feature von Norbert Hummelt
Diskussion über vier Bücher SWR Bestenliste Mai mit Büchern von Nadja Küchenmeister, Yasmina Reza, Antje Rávik Strubel und Martin Mosebach
Einigkeit bei Reza, Dissens bei Mosebach – Cornelia Geißler, Beate Tröger und Denis Scheck diskutierten in der Heidelberger Stadtbibliothek vier auf der SWR Bestenliste im Mai verzeichneten Werke. Auf dem Programm standen: Nadja Küchenmeisters Langgedicht „Der Große Wagen“ (Schöffling), Antje Rávik Strubels Roman „Der Einfluss der Fasane“ (S. Fischer), Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ (dtv) und Yasmina Rezas Kurzprosa „Die Rückseite des Lebens“ (Hanser).
Es geht in den Büchern um Erinnerungsschichten, die sich übereinanderlegen und ein Innehalten einfordern, um Sinnkrisen in mediale Erregungswellen, um das sprachgemalte Portrait eines übergriffigen Kunstmalers und um existentielle Kippmomente, die zu einem Verbrechen oder zur Erkenntnis führen.
Die Jurymitglieder lobten einhellig die Sprachkunst Yasmina Rezas, die sich im genauen Beobachten und in der literarischen Offenheit gegenüber den Eigenheiten auf der „Rückseite des Lebens“ zeigt. Äußerst kontrovers wurde Martin Mosebachs Roman „Die Richtige“ diskutiert. Denis Scheck ist von der Sprachmacht des Autors begeistert, die ihn an Thomas Mann erinnere. Beate Tröger und Cornelia Geißler kritisieren den „altbackenen“ Stil Mosebachs, in dem eindimensionale und regressive Frauenfiguren geschildert werden.
Während Strubels Mediensatire „Der Einfluss der Fasane“ als satirisches und nicht durchweg überzeugendes Nebenwerk der Buchpreisträgerin einsortiert wurde, fand die Jury bei der Analyse der formschönen Lyrik Nadja Küchenmeisters wieder zusammen. In „Der Große Wagen“ geht es nicht nur um ein literaturberühmtes Sternbild, sondern auch um die Frage, wie die Sprache im sich ständig drehenden Erinnerungskreislauf zum Fixstern werden kann.
Aus den vier Büchern lasen Isabelle Demey und Dominik Eisele. Durch den Abend führte Carsten Otte.