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Roman. Aus dem Englischen von Ingo Herzke und Susanne Höbel

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Man möchte sich – in fortgesetztem Alter – ja schon gern noch mal verlieben. Aber vielleicht nicht unbedingt in einem Roman der 1965 im schottischen Dundee geborenen A. L. Kennedy. Da geht das in der Regel nämlich gar nicht gut. Kennedy hat sich zwar auch als Stand-up-Comedian einen Namen gemacht, als Schriftstellerin lässt sie die Abgeknickten, die an den Rand Gelaufenen beider Geschlechter in der Regel solange aufeinander zulaufen, bis sie sich verpasst haben.

Jon zum Beispiel in „Süßer Ernst“ – der Titel verheißt schon eine für Kennedy ungewöhnliche gewisse Altersmilde – ist ein Endfünfziger, der von der Verlogenheit seiner Frau und der Verlogenheit seiner Profession die Nase voll hat. Jon ist Spindoktor, schreibt für die Regierung deren Politik und deren Folgen schön. Weil er – seine Frau hat ihm alles genommen, als sie sich trennten – noch Liebe in sich fühlt, die er nicht loswird, schreibt er wöchentlich Briefe auf Bestellung (zwölf für 150 Pfund) und ohne weitere Beziehungsverpflichtung. An Meg zum Beispiel, die bankrotte Buchhalterin, trockene Alkoholikerin.

Von 6:42 morgens bis 6:42 abends an einem Tag im April 2015 dauert die Geschichte. Die Verfasstheit des Landes spiegelt sich in der Verdrehtheit der Seelen. In „Süßer Ernst“ nehmen sich Jon und Meg, die versehrte Politik und die versehrte Wirtschaft, bei der Hand, und es gibt das Äußerste an Happy End, das es bei A. L. Kennedy geben kann.

In der Wirklichkeit wurde nichts daraus. „Süßer Ernst“ spielt vor der Wiederwahl David Camerons und erschien vor dem Brexit. Es wurde immer schlimmer im Land. A. L. Kennedy wird nicht müde, in Kolumnen gegen den Brexit zu schreiben. Jon und Meg drücken wir alle Daumen.

Zur Autorin:

A. L. Kennedy, 1965 im schottischen Dundee geboren, wurde bereits mit ihrem ersten Roman „Einladung zum Tanz“ (2001) berühmt und zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen englischen Autorinnen. Sie wurde mit zahlreichen wichtigen Literaturpreisen ausgezeichnet. 2007 erhielt sie den Österreichischen Staatspreis für Europäische Literatur, 2016 den Heine-Preis. Kennedy lebt in London und unterrichtet kreatives Schreiben an der University of Warwick.

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Autor/in
SWR