Sie hatten sich zweimal getroffen. 1955 und 1957. Ingeborg Bachmann, die ihre melancholische Vergangenheit inszenierende wie fürchtende, wahrscheinlich divenhafteste Schriftstellerin der jüngeren deutschsprachigen Literatur. Und Hans Magnus Enzensberger, der hellsichtige, leichtfüßige Chefironiker und Meisterspieler auf sämtlichen Registern der Literaturbetriebsorgel. Sie – kaum Dreißig beide, Hoffnungsträger und Stars der Literatur – wechselten Briefe, die bis jetzt unveröffentlicht waren. Sie forderten einander, tauschten ästhetische Positionen aus. Er lud sie ein zu Projekten, versuchte sie zu verführen. Literarisch.
Im Sommer 1959 wird vorübergehend alles anders. Enzensberger ist Stipendiat in der Villa Massimo in Rom. Da wurde es ihm schnell zu fad. Bachmann ist in Rom. Sie soll seine Fremdenführerin sein, weil er sich sonst verirrt. Er flieht ins Umland, in die Idylle. Sie folgt. In einen kurzen Sommer der Liebe. „nach deiner abreise stand die zeit still“, schreibt er, und man glaubt nicht, dass er Enzensberger ist. Er will mit ihr „die sieben himmel befliegen“. Der Sommer geht, Bachmann kehrt zu Max Frisch zurück.
Eine Freundschaft bleibt. Zeitschriftenprojekte werden konzipiert und verworfen. Sie befliegen die sieben Himmel der Literatur in ihren Briefen, versichern sich ihrer Unterschiedlichkeit. Ihr ist seine Leichtfüßigkeit, seine Quecksilbrigkeit verdächtig, dass er Kindergedichte schreibt zum Beispiel. Ihm ist ihr ständiges Kunstwollen suspekt, das „macht dir überhaupt das leben schwer“, dass sie immer nur auf „hinterlassungsfähige gebilde“ hinauswill. Sich auch literarisch, auch politisch so nah hatte man beide trotzdem bisher nicht vermutet. So klar leuchtete die intellektuelle Ehrfurcht, die Ingeborg Bachmann verbreitete, auch noch selten wie in diesen Briefen.
Zu den Autoren:
Ingeborg Bachmann wurde am 25. Juni 1926 in Klagenfurt geboren. Sie begann schon als Schülerin zu schreiben. Sie studierte Philosophie in Innsbruck, Graz und schließlich in Wien, wo sie Bekanntschaft u. a. mit Hans Weigel machte. 1949 verfasste Bachmann ihre Dissertation über Martin Heideggers Existentialphilosophie. Anschließend trat sie eine Stelle beim amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot an, die zum Ausgangspunkt ihrer Rundfunkarbeit wurde. Die Freundschaft mit dem Dichter Paul Celan hatte einen großen Einfluss auf ihr Denken. Ingeborg Bachmann gilt als eine der bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen und Prosaschriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Sie starb am 17. Oktober 1973 in Rom.
Hans Magnus Enzensberger wurde 1929 in Kaufbeuren geboren. Als Lyriker, Essayist, Biograf, Herausgeber und Übersetzer ist er einer der einflussreichsten und weltweit bekanntesten deutschen Intellektuellen.