Von wegen Alterswerk! Christoph Hein ist im April 81 Jahre, doch sein neuer, 750 Seiten umfassender Roman liest sich frisch und mit Verve geschrieben. Hein, in Schlesien geboren und in Sachsen aufgewachsen, war von jeher ein detailstarker Beobachter und zuverlässiger Chronist des Alltags, erst zu DDR-Zeiten, später dann in der Umbruchszeit der kollabierten DDR. Hein hatte ein Auge für die Unsicherheiten, die Ängste, die schwelende Wut. „Das Narrenschiff“ ist nun tatsächlich noch einmal ein großer Wurf geworden; ein Versuch, Zugriff zu bekommen auf das Große und Ganze.
Der Titel verweist auf Sebastian Brants 1494 erschienene Moralsatire, in der 100 Narren mit dem Schiff ins fiktive Narragonien fahren. Die detailreiche Schilderung ihrer Laster halten der Welt den Spiegel vor – und worauf Christoph Hein nun den Titel seines Romans bezieht, ist unschwer zu erkennen. Es sind drei Generationen, von denen er erzählt: Sie erleben die DDR von ihrer Gründungszeit bis zu ihrem Zerfall. Und wie man es von Hein kennt, überhöht er nichts, beschönigt nichts, verschwurbelt nichts, sondern erzählt geradlinig.
In der Eröffnungsszene besucht Wilhelm Pieck, der Gründungspräsident der Republik, eine Grundschule und trifft auf ein Mädchen namens Kathinka. Deren Familiengeschichte verfolgt Hein. Kathinkas Vater ist von den Nationalsozialisten ermordet worden; ihr neuer Stiefvater macht Parteikarriere.
Hein wechselt die Perspektiven, ist mal ganz nah dran an Szenen, fasst dann aber auch summarisch zusammen. Hein räumt mit Klischees und Beschönigungen auf; zeigt, dass der vermeintliche Idealismus der Anfangsjahre, sofern überhaupt vorhanden, sehr schnell in Machtstreben und Karrieredenken umschlug. Nicht, dass das alles nicht schon einmal hier oder dort erzählt worden wäre, aber nicht so sachlich, in der Form konzentriert und in der Psychologie glaubwürdig.