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Feridun Zaimoglu: Sohn ohne Vater

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„Meine Mutter ruft mich in aller Frühe an. Sie sagt: ›Dein Vater ist tot. Er ist zum Gerechten geschritten.‹ Sie sagt nicht: ›Er ist zum Herrn gegangen.‹ Ich staune über ihre Worte, ich schaue stumm auf den Bildschirm meines Mobiltelefons.“

So eröffnet Feridun Zaimoglu seinen neuen, autobiografisch gefärbten Roman. Das Mobiltelefon wird im weiteren Verlauf eine bedeutende Rolle spielen.

Eine Reise in die Türkei

Der Ich-Erzähler ist ein Schriftsteller, der in Kiel lebt, auch das deckt sich mit Zaimoglus Lebensdaten. Als er den Anruf erhält, weiß er sofort: Er muss in die Türkei; er muss seiner Mutter beistehen und am Grab seines verstorbenen Vaters stehen. Allerdings leidet er unter massiver Flugangst.

Zwei Brüder, Freunde von ihm, mieten ein Wohnmobil und treten mit ihm die 2760 Kilometer Reise an, gegen gute Bezahlung, versteht sich. Eine Reise, die zum einen eine geografische ist, zum anderen aber vor allem eine Reise durch die Erinnerung. An das Aufwachsen in München als Kind so genannter Gastarbeitereltern. An seinen eigenen Werdegang zum Schriftsteller, aber auch an Episoden, die er gemeinsam mit den Eltern und der Schwester erlebt hat.

Währenddessen hat er die Mutter ständig am Mobiltelefon und verheimlicht ihr, dass er gerade auf dem Weg zu ihr ist. „Sohn ohne Vater“ ist der Versuch einer Annäherung. Paradoxerweise wird der Vater für den Erzähler immer weniger greifbar, je intensiver er über ihn nachdenkt. So liefert der Roman nicht die große Erkenntnis, sondern lebt von den kleinen, oft auch berührenden Momenten der Einsicht.

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Autor/in
SWR