Unlängst erst erhielt der 1955 geborene irische Schriftsteller den hoch dotierten Würth-Preis für Europäische Literatur. Die Jury, der unter anderem die Literatur-Nobelpreisträgerin Annie Ernaux angehörte, würdigte Tóibín für seine „Kunst der Menschendarstellung“. „Long Island“, sein neuer Roman, ist die Fortschreibung seines im Jahr 2009 erschienenen Erfolgsbuchs „Brooklyn“. Darin erzählt Tóibín von der jungen Eilis Lacey, die aus der irischen Kleinstadt Enniscorthy (Tóibíns Geburtsort) aufbricht, um, wie viele andere Landsleute zu dieser Zeit, ihr Glück in Amerika zu suchen.
„Long Island“ setzt ziemlich genau 20 Jahre später ein: Eilis ist mit dem Klempner Tony Fiorello, nun Miteigentümer eines Familienunternehmens, verheiratet. Die beiden haben zwei gemeinsame Kinder. Die Story nimmt gleich auf der ersten Seite Fahrt auf: Vor der Tür des gemeinsamen Hauses steht ein Mann mit irischem Akzent, der behauptet, Eilis Ehemann Tony habe sein handwerkliches Geschick ausgiebig an seiner Frau ausprobiert, Stichwort: Rohrverleger, und diese sei nun von Tony schwanger. Eilis hat sich schon länger in ihrer italo-amerikanischen Familie fremd gefühlt. Nun braucht sie Abstand vom Gatten und reist zurück in die alte Heimat, nach Irland.
Dort trifft sie Jim Farrell wieder, mit dem sie einst eine Romanze verband. Diesen emotionalen Windungen, die Zerrissenheit zwischen zwei Kontinenten und zwei Männern, spürt Tóibín diskret und präzise nach. Zugleich ist „Long Island“ die Fortschreibung der Biografie einer eigenwilligen, widerstandsfähigen und intelligenten Frau.