Wenn Historie, Topographie und schriftstellerisches Talent zusammenfallen, entsteht daraus im Idealfall ein Hybrid zwischen Essay und Erzählung, der über seinen eigentlichen Gegenstand hinausweist.
„Es gibt“, so schreibt die Ich-Erzählerin in Irina Liebmanns Roman“, „in jeder Stadt eine Straße, die man von Anfang bis Ende überschauen kann. Hineinsehen wie in einen Trichter sogar, denn die gleichmäßig hohen Häuserreihen verengen sich zu ihrem Ende hin, wo eine andere Straße sie abschneidet.“
Diese Straße ist, wie der Titel des Romans es verrät, die Große Hamburger Straße in Berlin, eine nur kurze Straße zwischen Hackeschem Markt und Rosenthaler Platz.
Die historisch und architektonisch zerklüftete Mitte der Stadt hat es der Erzählerin angetan. Eine schwer erklärliche Faszination geht für sie aus von diesem Ort, dessen Vergangenheit sie mit dem Wissen der Gegenwart zu erkunden versucht. In einem sprachlich ambitionierten, bildreichen Stil kommt Irina Liebmann, in Moskau geboren und in Berlin lebend, den Aufschichtungen von Ereignissen auf die Spur.
Mietshäuser, Geschäfte, ein Friedhof, Bombenangriffe, Zerstörungen, Aufbau. Ideologien, die durch die Straße hindurchgefegt sind, dokumentiert durch Fotoaufnahmen. „Die Große Hamburger Straße“ ist in ein in seiner Beobachtungsgenauigkeit spektakuläres Buch. Ein Roman der Entdeckungen.