14 Autorinnen und Autoren werden sich in Klagenfurt bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ der Jury stellen. Mit dabei: Thomas Bissinger aus Konstanz. Er liest aus seinem Romanprojekt „Ehrenfest“.
Bald ist es wieder so weit: Ende Juni startet in Klagenfurt das jährliche Wettlesen um den Ingeborg-Bachmann-Preis – bei den sogenannten „Tagen der deutschsprachigen Literatur“.
14 Autorinnen und Autoren aus Österreich, Deutschland und der Schweiz sind an den Wörthersee eingeladen, um dort aus ihren unveröffentlichten Texten zu lesen und sich damit der Bewertung der Jury zu stellen.
Mit dabei ist Thomas Bissinger. Er ist promovierter Physiker, arbeitet als Softwareentwickler und lebt in Konstanz. Bissinger liest aus seinem Roman „Ehrenfest“, der 2026 bei dtv erscheinen wird. Darin geht es um das Leben des österreichischen Physikers Paul Ehrenfest.

Historisches Material für den Debütroman
Der österreichische Physiker Paul Ehrenfest, 1880 in Wien geboren, und die russische Mathematikerin Tatjana Afanassjewa, in St. Peterburg aufgewachsen, lernten sich während ihres Studiums an der Universität Göttingen kennen. Sie heirateten und begannen wissenschaftlich eng zusammenzuarbeiten.
Thomas Bissinger ist 2017 Tutor an der Uni Konstanz, als er für seine Studierenden der Physik ein Arbeitsblatt über ein Rechenmodell der beiden erstellt. Das sogenannte Ehrenfest-Modell, welches das Paar gemeinsam entwickelt hat.
„Wahrscheinlich gehe ich jetzt besser nicht ins Detail“, sagt Bissinger und lacht. „Aber es ist ein wichtiges Modell, das Studierende der statistischen Mechanik häufig durchrechnen müssen.“
Als Studierender fand er es stets interessant, die Lebensumstände derer zu kennen, die wissenschaftliche Ideen hatten. „Das hat mir immer sehr geholfen, das Wissen zu verknüpfen. Und auch ein Gefühl dafür zu bekommen, dass die Wissenschaft lebendig ist, dass sie von Menschen gemacht ist.“

Zwischen Promotion und Lyrik
Thomas Bissinger steckt mitten in seiner Promotion, als er gleichzeitig mit viel Recherche in die Familiengeschichte der Ehrenfests eintaucht. Ihm wird schnell klar, dass er sich damit literarisch auseinandersetzen will. Seit seiner Schulzeit spielt das Schreiben eine große Rolle in seinem Leben. Vor allem die Lyrik.
„Ich habe immer gerne Gedichte geschrieben. Die gehen schnell!“, witzelt er. „Dafür findet man immer ein bisschen Zeit. Und als ich diese Familiengeschichte gefunden habe, habe ich auch erst mit einem langen Gedicht angefangen. Und dann meinte eine Freundin zu mir, das ist aber jetzt alles sehr vollgestopft. Vielleicht probierst du es besser mal mit der Romanform.“
Ein Rat, den er befolgt. Und woraus mittelweile ein konkretes Ziel entstanden ist: nämlich Herbst 2026. Dann erscheint sein erster Roman beim dtv Verlag, über die teils tragische Familiengeschichte der Ehrenfests, und wie sie ab den späten 1920ern bis 1933 die Umbrüche in Europa erlebten. Ende dieses Sommers will er die erste Fassung seiner Lektorin vorlegen.
Schreiben als leidvoller Prozess?
Ob ihm das schriftstellerische Schreiben leicht fiel? „Ich mochte früher Zitate von Schriftsteller und Schriftstellerinnen nicht, die über das Leiden beim Schreiben gesprochen haben, weil ich fand, das ist ein bisschen eingebildet und künstlerische Grandeur.“
Mittlerweile erkenne er eine Wahrheit darin: Das Problem sei nicht das emotionale Leiden am Text. „Es ist ganz simpel: Um ein paar gute Seiten zu schreiben, muss man sehr viele schlechte schreiben. Das ist meine Erfahrung – ich muss die schlechten Seiten durchleiden.“

Bodensee als Schreibort
Seinen Brotberuf als Softwareentwickler hat Thomas Bissinger gerade auf 60 Prozent runtergeschraubt. In seiner neuen Wohnung gibt es erstmals ein Schreibarbeitszimmer. Obwohl der 36-Jährige, der nach seiner Promotion der Liebe wegen in Konstanz geblieben ist, gerne an unterschiedlichen Orten schreibt.
Oft an einem kleinen Steintisch im Konstanzer Stadtgarten, direkt am Bodenseeufer. Wenn man bei bestimmten Wetter das gegenüberliegende Ufer nicht sehe, sei es dann wie am Meer, sagt der angehende Autor.

Teilnahme bei den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“
Sein Romanprojekt bringt gerade eine enorme Dynamik in sein Leben. Besonders, weil er damit nach Klagenfurt zu den „Tagen der deutschsprachigen Literatur“ eingeladen worden ist. Die Literaturkritikerin Mara Delius, die in der siebenköpfigen Jury des Bachmannpreises sitzt, hat ihn ausgewählt.
25 Minuten lang darf er eine Passage aus seinem unveröffentlichten Roman lesen. Auf dieser besonderen literarischen Bühne auftreten zu können empfindet er als ein großes Geschenk
„Ich glaube der Erfolg ist, dort zu sein. Und auch ein paar andere Schreibende kennenzulernen. Auch die Literaturkritik, mit der hatte ich bisher auch keinen richtigen Kontakt.“ Es sei vor allem was Zwischenmenschliches, auf das er sich freue.
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Anja Brockert im Gespräch mit Frank Hertweck.
Piper Verlag, 128 Seiten, 24 Euro
EAN 978-3-492-07250-2