Buchkritik

Arno Frank – Ginsterburg

Stand

Von Autor/in Holger Heimann

Genau und anschaulich erzählt Arno Frank von der Verrohung einer Stadtgemeinschaft während der Naziherrschaft und ihrem Untergang. Er interpretiert und deutet nicht, sondern lässt die dargestellte Wirklichkeit für sich sprechen.

Noch ein Roman über das Dritte Reich? Sind uns die Geschichten der Täter und Opfer, der Mitläufer und Profiteure nicht sattsam bekannt? Was soll da noch Neues enthüllt werden? Das sind berechtigte Fragen.

Aber entscheidend ist bekanntlich nicht so sehr was, sondern wie etwas erzählt wird. Und das Wie macht den Roman von Arno Frank zu einem Ereignis. Die Genauigkeit und Anschaulichkeit sind beeindruckend, mit der er die Verrohung einer Gesellschaft zeigt, ihre immer stärkere Drift ins Totalitäre und ihren Untergang.  

„Ginsterburg“ ist eine fiktive mittelgroße Stadt am Main. Arno Frank blickt drei Mal, jeweils im Abstand von fünf Jahren, auf den Ort, seine Menschen und darauf, wie sie sich verändern. 1935 ist die Diktatur noch jung, aber spürbar, 1940 ist das Nazireich auf dem Gipfel seiner Machtentfaltung, 1945 folgt die Abrechnung. 

Zu weich für die Zeit 

Der Leser taucht ein in die Stadtgesellschaft, in das Alltagsleben der Einwohner. Gekonnt verschränkt der Autor die Lebensläufe und Perspektiven von einem guten Dutzend Menschen – von „ganz normalen Deutschen“, wie er betont. Das offensive Auftrumpfen der einen und der resignierte Rückzug der anderen wird immer wieder unterbrochen durch dokumentarische Passagen mit historischen Zeitungsartikeln und Wochenschau-Verlautbarungen.

Zwei Figuren sind besonders interessant: der talentierte Journalist Eugen, der sich zunächst noch traut, freche Artikel zu schreiben, aber bald einer Mischung aus Druck und Verlockungen nachgibt. Und Lothar, der sensible Sohn der Buchhändlerin Merle, der zu weich ist für die Zeit. 

Immer heftiger schlug die Forelle mit dem Schwanz, tanzte über den Sand. Lothar ließ das Messer fallen. 
„Ich kann’s nicht“, sagte er verblüfft. 
Schon hatte er den hüpfenden Fisch gepackt und zurück ins Wasser geworfen. 
„Was kannst du nicht?“ 
„Grausam sein. Töten. Ich kann es nicht.“ 
Gesine lächelte aufmunternd: „Das lernst du schon noch!“

Wie ein Gottesgericht 

Und Lothar lernt es. Er wird eingespeist in das totalitäre System und zum gefeierten Jagdflieger. Seine Freundin Gesine, eine überzeugte Nationalsozialistin, ist stolz auf den Kriegshelden. Lothar hingegen stehen die Sinnlosigkeit und das Verbrecherische des Krieges immer deutlicher vor Augen, ohne dass es für ihn ein Entkommen gibt.

Arno Frank deutet und interpretiert nicht, er lässt die dargestellte Wirklichkeit für sich sprechen. Walter Kempowskis kollektives Tagebuch „Echolot“ und Viktor Klemperers „LTI“ über die stereotype Sprache des Dritten Reiches, der Lingua Tertii Imperii, seien Fixsterne für ihn gewesen, sagt er.  

Das Ende kommt wie ein Gottesgericht über die Stadt. Das flächendeckende Bombardement unterscheidet nicht zwischen Schuldigen und Unschuldigen – und hinterlässt eine Trümmerwüste. Arno Frank hat mit spürbarer Freude am Detail die Stadt selbst mit ihren Häusern, Gassen und dem alles überragenden Münster sinnlich erfahrbar gemacht. Im Feuersturm wird Ginsterburg ausgelöscht. 

“Wenn sich sowas ausdrückt wie eine Trauer über die Vernichtung so vieler deutscher Städte, großer wie kleiner, auch ganz kleiner, mitsamt ihrer kulturellen Fracht der Jahrhunderte, dann ist das auch ein Antrieb gewesen für mich, dieses Buch zu schreiben.“ 

Dieser souverän erzählte Roman muss die Trauer nicht ausklammern. Arno Frank lässt keinen Zweifel daran, dass die Zerstörung der Stadt und das massenhafte Sterben der Preis sind, den Ginsterburg bezahlen muss für die ängstliche Tatenlosigkeit und das kalte Einverständnis, die bequemen Beschwichtigungen und die fidele Überheblichkeit.  

Wie konnten Menschen so unberührt bleiben vom Gang der Dinge? War es so einfach, sich im Gleichschritt zum schweren Tritt der Zeit zu bewegen? Nicht einmal aus bösem Willen, einfach aus Instinkt? 

Darüber denkt einmal eine verzweifelte Frau nach, deren jüdischer Mann eingesperrt wurde. Es ist die zentrale Frage des Buches. Arno Frank zeigt auf so bedrückende wie eindrückliche Weise, wie es möglich war, unberührt zu bleiben, und wohin Gleichgültigkeit und Verblendung führen können. 

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