Buchkritik

Andreas Maier – Der Teufel

Stand

Von Autor/in Jörg Magenau

Aufzuwachsen in der geteilten Welt, bedeutete nicht einfach bloß die Spaltung in Ost und West. Andreas Maier untersucht in „Der Teufel“ die grundlegende Dichotomie von Gut und Böse, wie sie in jeder Fernsehsendung, vor allem aber in den Nachrichten befestigt wurde. Und klar, dass man selber immer zu den Guten gehörte.

Wahrscheinlich ist der Teufel ein Heiliger. Die Figur im Chorgestühl der Friedberger Stadtkirche, die Andreas Maier jahrelang für den Teufel hielt, stellt tatsächlich wohl eher den heiligen Sebastian dar. Nicht dass die Teufelsfigur damals, in den 1970er und 80er Jahren, allgegenwärtig gewesen wäre.

Doch die Welt, in der Maier aufwuchs, war klar und übersichtlich in Gut und Böse aufgeteilt. Und es war selbstverständlich, dass man selbst immer zu den Guten gehörte. So lernte es das Kind tagtäglich in der Tagesschau.  

In den Nachrichten gab es die Guten und die Bösen. Gut und Böse existierte von Anfang an. Es prägte hauptsächlich die Welt draußen, allerdings nur diese. Das Familienleben war nicht davon betroffen. Es prägte nicht die Menschen, unter denen das Kind aufwuchs und denen es allesamt vertraute.

Entweder gut oder böse 

„Der Teufel“ ist der zehnte von elf Bänden einer in der hessischen Wetterau angesiedelten, umfassenden Heimat-, Selbstwerdungs- und Generationserkundung. „Ortsumgehung“ hat Andreas Maier diesen Zyklus mit Bezug auf die damals gebauten Umgehungsstraßen schön doppeldeutig genannt.  

Der Radius hat sich mit dem allmählichen Älterwerden des Protagonisten vom Zimmer über das Haus, die Straße und in die Welt hinaus erweitert. Mit dem neuen Band unternimmt Maier nun noch einmal einen Längsschnitt, um das allumfassende Entweder-Oder der Weltordnung in den Blick zu nehmen. Das Fernsehen als ehemaliges Leitmedium spielte dabei die zentrale Rolle. Von da aus strahlte das Entweder-Oder auf alles aus. Arm oder reich. West oder Ost. Märklin oder Fleischmann-Modelleisenbahn.  

Problemzone Sexualität 

Als besonders prekär erlebte Maier die Aufteilung in Mann und Frau. Sie war gewissermaßen naturgegeben, aber eben doch so, dass das Mannsein für einen Jungen des Jahrgangs 1967 zur Herausforderung werden musste. Männer waren Machthaber, Unterdrücker, Gewalttäter. Pubertierende wuchsen also in eine Rolle hinein, die sie zugleich abzulehnen hatten. Sexualität wurde damit zu einer kaum zu bewältigenden Problemzone.

Maier beschreibt sein erstes Mal bei Batiktuchlicht und mit dem Duft indischer Räucherkerzen. Das geforderte Programm hieß „Zartheit, Bedächtigkeit, Aufmerksamkeit“, um ja nicht in Verdacht zu geraten, ein, wie er das nennt, „Schwanzsteckermännerschwein“ zu sein. Doch alle guten Absichten waren letztlich vergeblich. 

Irgendwann, während wir schließlich das festlich Erwartete vollführten, kündigte sich an, was am meisten zu vermeiden war, denn daran machte sich das eigentlich Egoistische und Unheilvolle der Frauenfeinde fest, es war gleichsam Symbol der Herabwürdigung der Frau zum Objekt, nämlich die Ejakulation. 

Mehr Essay als Erzählung 

Mit ironischer, erkenntnisfördernder Distanz schreibt Maier nicht einfach aus der Gegenwart heraus, sondern aus einem fiktiven Schreibmoment im Jahr 2009, als er das Zimmer seines geistig gehandicapten, verstorbenen „Onkel J.“ bezog. Da sitzt er noch immer, als wäre seit dem ersten Band des Zyklus die Schreibzeit stehen geblieben.

Von daher wird klar, dass die so eindeutige Autofiktionalität mit Vorsicht zu genießen ist. Von Buch zu Buch erscheinen die Figuren der Familie in anderem Licht, wandelt sich auch der Vater von einer bedrohlichen über eine an Migräne leidende zu einer nahezu freundlichen Gestalt. Auch indem Maier zwischen mehr essayistischen und stärker erzählerischen Passagen wechselt, entzieht er sich dem schlichten Entweder-Oder.

Vielleicht bedeutet erwachsen zu werden ja, von dort zum Sowohl-Als-auch vorzudringen. „Was haben der Teufel und der liebe Gott damals ausgewürfelt über mich?“, fragt Maier heute. Der liebe Gott bleibt dann allerdings dem noch ausstehenden Abschlussband vorbehalten. 

Buchkritik Andreas Maier - Die Städte

Die Geschichte der Bundesrepublik als kleine Geschichte der Mobilmachung: "Die Städte" von Andreas Maier. liefert im In diesem achten Band seiner "Ortsumgehung" liefert er das Bewegungsprofil seines Lebens und plädiert dann aber doch fürs zu Hause bleiben.
Rezension von Jörg Magenau.
Suhrkamp Verlag, 192 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-518-42993-8

SWR2 lesenswert Kritik SWR2

Platz 3 (72 Punkte) Andreas Maier: Der Teufel

Der zehnte von elf Bänden von Maiers Projekt „Ortsumgehung“. Stück für Stück hat Maier den Radius und den Blick geweitet. Nun geht es noch einmal um das Große und Ganze: das Gute und das Böse. Und wie es in die Menschen kommt.

Platz 9 (28 Punkte) Andreas Maier: Die Städte

Der achte Teil der „Ortsumgehung“, in der Andreas Maier im Modus der Autofiktion seinen eigenen Werdegang seit frühester Kindheit erzählerisch reflektiert. Kein Roman, vielmehr Reisebilder. Und die Geburtsstunde eines Schriftstellers.

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Jörg Magenau