Alejandro Zambra erzählt in „Nachrichten an meinen Sohn“ poetisch und humorvoll vom Vatersein. Mit liebevollen Beobachtungen, kleinen Anekdoten und tiefgründigen Reflexionen gewährt er Einblicke in die Beziehung zwischen Vater und Sohn – geprägt von Nähe, Distanz und gemeinsamen Momenten voller Magie.
Mit dir im Arm sehe ich zum ersten Mal den Schatten, den wir gemeinsam an die Wand werfen. Da bist du zwanzig Minuten alt. Deine Mutter schließt die Lider, will aber nicht schlafen. Sie ruht nur ein paar Sekunden aus.
„Neugeborene vergessen manchmal das Atmen“ sagt uns die Krankenschwester, eine freundliche Spielverderberin.
Wahrscheinlich erinnern sich alle Eltern an solche oder ähnliche Momente wie sie Alejandro Zambra in „Nachrichten an meinen Sohn beschreibt“. Es sind Eindrücke aus dem kleinen Stück Magie, die die ersten Minuten nach der Geburt eines Kindes haben – Vater und Sohn, jetzt werfen sie einen gemeinsamen Schatten - wie schön.
Zarte Momente und humorvolle Einsichten
Es gibt viele zarte poetische Passagen in diesem Buch, in dem der chilenische Autor Alejandro Zambra über das Vatersein reflektiert. Besonders im ersten Kapitel des Buches reiht er Beobachtungen und kluge Gedanken aneinander, er beschreibt die ersten gemeinsamen Tage und Wochen, aber nicht chronologisch, sondern assoziativ, wie Notizen, oder Nachrichten eben.
Und es gibt sehr komische kleine Einschübe:
Ich bin stolz, dass das erste Wort, das mein Sohn vor fünf Tagen ausgesprochen hat, entgegen dem statistischen Trend das Wort Papa ist. Das sagt er jetzt ständig. Allerdings hat er noch Schwierigkeiten mit dem stimmlosen bilabialen Verschlusslaut p, und so ersetzt er ihn momentan durch den stimmhaften bilabialen Nasallaut m
Eine der lustigsten Passagen ist die, in der Alejandro Zambra erzählt, wie er Schokolade isst, die mit einem psychoaktiven Pilz versetzt war.
Er hofft, damit seine Kopfschmerzen zu heilen, was tatsächlich klappt, ihn aber, weil er viel zu viel Pilzschokolade auf einmal isst, auf einen stundenlangen Drogentrip schickt. Da sein Sohn gerade das Krabbeln gelernt hat, krabbelt auch Alejandro Zambro high durch die Wohnung und betrachtet die Welt durch Kinderaugen.
Ich wagte ein vorsichtiges, zaghaftes Krabbeln. Die Knie taten höllisch weh, was ich, vielleicht wegen meiner katholischen Erziehung, als ein positives Zeichen nahm. Ich erreichte das Wohnzimmer, besah mir auf allen Vieren die Pflanzen. Herrliche Ameisen, so schwarze, glänzende, tänzerische hatte die Weltgeschichte noch nicht gesehen, kamen und gingen auf einem Pfad, der in einer Fensterrille begann und oben auf einem Blumentopf endete. Ich studierte sie eingehend, saugte sie förmlich in mich auf, genoss sie.
Reflexionen über Männerrollen und Nähe
Das erste Kapitel des Buches spielt zeitlich in der Pandemie, auf deren Höhepunkt der Sohn zwei Jahre alt ist.
Die übrigen Kapitel bestehen aus eigenständigen, sehr unterschiedlichen Geschichten, die aber alle um das Thema Vater-Sohn Beziehung, Männerrollen und Nähe und Distanz zwischen Männern kreisen. Zambra problematisiert das Vatersein auf eine eher leise Art. Er spricht nicht nur über die Freuden, sondern auch die Zweifel, Ängste und Unsicherheiten, die mit der neuen Rolle als Vater einhergehen.
So fragt er sich auch, was es bedeutet, ein „guter Vater“ zu sein, und denkt kritisch über eigene Prägungen, gesellschaftliche Erwartungen und die Verantwortung nach, die mit dem Elternsein kommt. Dabei geht es weniger um dramatische Konflikte als um feine, ehrliche Beobachtungen eines Mannes, der sich im Spannungsfeld zwischen Fürsorge, Überforderung und dem Wunsch nach einer echten Beziehung zu seinem Kind bewegt.
Ein Blick auf das Vatersein in all seinen Facetten
Wieder fehlt es nicht an lustigen Passagen, zum Beispiel wenn der Erzähler darüber nachdenkt, wie er jahrelang litt, weil er nicht wollte, dass sein intellektuelles Umfeld von seiner Fußballleidenschaft erfuhr. Er wollte lieber als verkopft-intellektuell wahrgenommen werden, da passte die Passion für den Prollsport nicht ins Bild. Dabei war das gemeinsame Fußball schauen eine der wenigen Möglichkeiten, in Verbindung mit dem Vater zu treten.
Selbst wenn wir mit unseren Vätern restlos zerstritten waren, bescherte uns die Möglichkeit, unsere Streitigkeiten etwas Höherem zu opfern und gemeinsam ein Spiel zu sehen, eine angemessene Dosis Familienhoffnung, einen vorübergehenden Waffenstillstand, und bewahrte uns zumindest die Illusion der Zusammengehörigkeit.
Es gibt schon diverse Bücher über Mutterschaft, doch nur wenige übers Vater werden und -sein. Gerade deshalb sticht „Nachrichten an meinen Sohn“ durch seine besondere Perspektive heraus.
Es ist ein berührendes und zugleich humorvolles Buch, das die vielfältigen Facetten des Vaterseins einfängt. Alejandro Zambra verbindet poetische Beobachtungen mit persönlichen Reflexionen und schafft so eine authentische Liebeserklärung an die Vater-Sohn-Beziehung. Ein lesenswertes Werk für alle, die das Familienleben mit offenen Augen und Herzen betrachten möchten.
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