Dreh- und Angelpunkt des Drogenhandels waren die „Vele“, die „Wohnsegel“ genannten Sozialbauten mit ihren eintausend Wohnungen. Die eigenwillige, zunächst modern anmutende Architektur der „Vele“ - sieben pastellfarbene Gebäude in Form von Segeln - erwies sich für ihre Bewohner bald als Falle.

In den anonymen, unüberschaubaren Wohnblocks hatten sich auch die Mitglieder der Camorra einquartiert und dirigierten von hier aus das Drogengeschäft.
Mafia machte Millionengeschäft in Scampia
Mafia-Kenner Roberto Saviano schreibt in seinem Buch „Gomorrha“, erschienen 2004, dass die Camorra mit dem Drogenhandel in Scampia schätzungsweise 500 000 Euro einnahm – am Tag; der jährliche Gewinn entsprach etwa dem des italienischen Staatshaushalts.

Die Bürgerinnen und Bürger hatten so sehr unter der Situation gelitten, dass sie allmählich beschlossen hatten, sich den öffentlichen Raum wieder anzueignen und sich in Vereinen zusammenzuschließen. Parallel dazu, und das muss ich betonen, haben Carabinieri und Polizei eingegriffen, um die Kriminalität zu bekämpfen. So wurde allmählich auch der soziale Zusammenhalt wieder hergestellt, der völlig zerstört war. Aber Basis von allem, der wahre Motor, war die Entschlossenheit der Männer und Frauen von Scampia, die Lebensbedingungen vor Ort zu verändern.
Doch die Bürgerinnen und Bürger Scampias stellten sich gegen die Mafia, die ihr Leben schwer machte. Durch kirchliches und ziviles Engagement ist Scampia zu einem lebendigen Stadtviertel geworden, wo die Kriminalität erfolgreich bekämpft wurde.
Priester unterstützten Kampf gegen die Mafia
Denn die Menschen in Scampia lebten unter elenden Bedingungen. Die unteren Stockwerke der Wohnsegel belegten Familien, die mit mit ihren Kindern weitgehend im Dunklen hausten, nachdem die maroden Treppen durch breite Eisenpfeiler verstärkt worden waren. Ältere und Behinderte wurden dagegen in kleinen Apartments im 14. Stock untergebracht, zu dem meistens der Fahrstuhl ausfiel. Don Alessandro Gargiulo lebt seit achtzehn Jahren in Scampia. Von Anfang waren es die Priester, die die Menschen in ihrem Kampf um ein besseres Leben unterstützten.

Die Pfarrgemeinden waren zu Beginn, als die ersten in diese Schlafstadt zogen, die einzigen Ansprechpartner. Die Priester hielten Messen in Kellern und in Containern ab. Es gab noch nicht einmal Schulen, aber die Priester waren hier, nahe bei den Menschen, bis das ganze Viertel am Ende sehr dicht besiedelt war.
40 000 Menschen lebten in den tausend Wohnungen, weitere 40 000 hatten leere Wohnungen besetzt, ohne jemals Miete zu zahlen. Die wechselnden Stadtverwaltungen ließen es jahre- und jahrzehntelang geschehen. Am Ende kontrollierte niemand mehr, wer eigentlich hier lebte und einer Arbeit nachging oder mit Drogen handelte. Zu dieser Fehlplanung kam noch ein weiteres Phänomen, nämlich die hohe Arbeitslosigkeit von über siebzig Prozent. Viele Schüler brachen ihre Ausbildung ab und wurden von der Mafia rekrutiert.
Vereine gaben Jugendlichen und Familien eine Perspektive
Nicht nur die Kirchen, sondern auch die Zivilgesellschaft machten mobil gegen die Mafia. Einer unter ihnen ist Carlo Sagliocco. Er war in seiner Jugend selbst Amateur-Fußballer. Als er mit seinem Kollegen 1986 die „Scuola di Calcio Arci Scampia“ gründete, ging es um viel mehr: Nämlich darum, die Jugendlichen von der Straße zu holen und sie gar nicht erst in die Fänge der Camorra geraten zu lassen.

Unser Gedanke war, dass der Fußball etwas sein konnte, um etwas für andere zu tun, in unserem Fall für die jungen Leute hier. Schließlich war Fußball ein Mittel, um auch über andere Dinge zu sprechen. Angefangen haben wir auf einem staubigen Platz, wo sich der Sand bei jedem Regen in Schlamm verwandelt hat. Ich hatte oft meinen kleinen Sohn dabei. Mit der Zeit wurde die Fußballschule ein Ort, wo auch Eltern hinkamen, um miteinander über ihre Probleme zu sprechen.
Sozialer Zusammenhalt veränderte Scampia
Heute ist die Baracke der Fußballschule ein Ort, an dem sich die Vereine von Scampia treffen, für Sport, Freizeitgestaltung oder soziale Arbeit. Sie haben maßgeblich zur Veränderung von Scampia beigetragen. Denn so lernten sich die Bewohnerinnen und Bewohner erst kennen und stellten genau den sozialen Zusammenhalt her, der viele Jahre gefehlt hatte. Geholfen bei der Finanzierung des Vereins hatten Banken, Stiftungen, auch Privatleute. Etwa 500 Jugendliche sind Mitglied der Fußballschule. Wer keine finanziellen Mittel hat, weil Familienmitglieder im Gefängnis sitzen, trainiert kostenlos.
Neue Sozialwohnungen gegen die Verelendung
Am 10. März wurde nach jahrzehntelanger Verwahrlosung der Abriss der „Vele“ beschlossen und es entstehen neue Sozialwohnungen. Auch der unbebaute Platz vor den Räumen der christlichen Gemeinde Sant‘ Egidio war früher ein Treffpunkt der Drogenabhängigen, heute treffen sich hier Frauengruppen, die Roma- und italienische Kinder betreuen und samstags Brote für Tagelöhner aus Marokko, dem Sudan und dem Senegal verteilen. Antonio Mattone, Sprecher von Sant‘ Egidio, weiß, wie wichtig der Verein als Ansprechpartner ist.

Wichtig finde ich, dass auch die Universität jetzt hier ist, die Fakultät für Medizin. Scampia ist jetzt keine Schlafstadt mehr, es gibt Geschäfte, Infrastruktur, und das war ja eines der größten Probleme, man spricht auch schon von Studentenwohnungen. Auch die U-Bahn hat das Leben hier verändert. Viele Faktoren haben dazu beigetragen, dass Scampia zu einem normalen Viertel wurde.