Die scheidende Mainzer Stadtschreiberin Julia Schoch hat für ihren Abschiedsfilm von der Stadt ein bemerkenswertes Konzept gewählt: Der halbstündige Film „Bitte um Rückruf – Interview mit einer Schriftstellerin“, zu sehen in der ZDF-Mediathek, ist ein literarisches Selbstporträt – vermittelt durch einen Schauspieler.
Gedreht wurde in Schochs Wahlheimat Potsdam. Der Dortmunder „Tatort“-Kommissar Jörg Hartmann, schlüpft in einer fiktiven Interviewsituation in die Rolle der realen Autorin. Ein Porträt also, bei dem die Porträtierte lediglich gespielt wird.
Das Interview als Schauspiel?
„In einem Fernsehinterview Auskunft über mich als Künstlerin zu geben, ist nicht leicht”, so Julia Schoch im Interview mit SWR Kultur. Man öffne sich, gebe etwas von sich preis, gleichzeitig trage man eine Maske.
Weil für sie Interviews vor der Kamera wie Schauspielen sei, habe sie direkt lieber einen Schauspieler genommen. Doch wie echt ist es, wenn ein anderer einem seine Stimme und seine Mimik leiht? „Er spielt auf jeden Fall die echte Julia Schoch, was auch immer das heißt“, betont die Autorin.
Was für ein Kind ich war? Impulsiv. Kreativität hatte mich gerettet vor dem Trott und der Langeweile. Wusste, Leben in der DDR wird langweilig. In der Provinz lebt man abgeschieden. Sprache der Literatur hat mich von der Sprache der Realität befreit.
Wie Hartmann aus der Ich-Perspektive erzählt, schafft Distanz zu ihrer Geschichte und ihren Antworten. Hartmann habe zwar eine ganz andere Herkunft und Vita als sie, sei ihr aber vom Typ dennoch ähnlich. Der Autorin war dennoch wichtig, dass sie jemand spiele, der nicht als Doppelgänger gelesen werden könne, erklärt sie weiter.
Ein Grund dafür, einen Schauspieler statt einer Schauspielerin zu wählen? Die Wahl eines Mannes bringe noch eine weitere Dimension ins Spiel: die Dekonstruktion von Geschlechterbildern. Sie zwingt so das Publikum, sich zu fragen, wo die Grenze zwischen Repräsentation und Realität liegt und wie wir Geschlecht und Identität wahrnehmen.

Hommage an frühere Fernsehformate
Der Film soll auch eine Hommage an die Fernsehformate aus den Sechziger- und Siebzigerjahren sein. Schoch mag die alten Interviewformen, in denen beispielsweise der Theaterkritiker Friedrich Luft ungeschnitten eine halbe oder ganze Stunde erzählen konnte.
„Es mag nicht mehr dem heutigen Zeitgeist entsprechen, dass jemand fünf Minuten am Stück interessant spricht”, sagt sie. Dabei höre man doch gern zu.
Durch die Wahl dieser Inszenierungsform hinterfragt Schoch also auch Mechanismen der heutigen Medienlandschaft: Weg von schnellen Schnitten, hin zur konzentrierten und langen Betrachtung eines Menschen.
Autobiografie oder Autofiktion?
Julia Schoch ist bekannt für ihre Prosa, in der die Grenzen zwischen Erlebtem und Erdachtem stets fließend sind. Ihre Romane liegen zwischen Erinnerung und Fiktion, zwischen Geständnis und Konstruktion.
Auch in ihrem gerade erschienenen Roman „Wild nach einem wilden Traum“ gibt es Elemente der Autofiktion, jenem literarische Zwischenreich, in dem mit autobiografischen Elementen gespielt wird.
Im dritten Teil ihrer Trilogie gerät eine Frau nun durch eine Affäre in eine Sinnkrise, gern möchte sie ihr Leben dem Schreiben widmen. Die Ich-Erzählerin hat einige Gemeinsamkeiten mit der Autorin: Beispielsweise ist sie ebenfalls als Offizierstochter in einer Garnisonsstadt am Stettiner Haff aufgewachsen.
Eine Reflexion über Selbstinszenierung
Der Film führt dieses Spiel weiter: Ist das nun ein Selbstporträt auf Distanz – oder vielleicht sogar ein autofiktionaler Zugang zu sich selbst?
Julia Schoch spielt in ihrem Film vor allem mit Selbstbildern und verdeutlicht, dass eine objektive Selbstbeschreibung kaum möglich ist. Die Zuschauer sehen hier eine bestimmte Version von ihr. Es bleibe für sie immer Schauspiel, wenn Kameras laufen.
„Bitte um Rückruf“ beantwortet damit weniger die Frage nach dem „wahren Ich“, sondern reflektiert über die Möglichkeiten seiner Darstellung.