Die Macht der virtuellen Gefühle

Wie beeinflusst das Internet unsere Gefühle? Eva Illouz hält Stuttgarter Zukunftsrede

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Autor/in
Silke Arning
Moderatorin Silke Arning
Onlinefassung
Dominic Konrad

Technologie und Gefühle sind keinesfalls Gegenpole, stellt die israelische Soziologin in ihrer Stuttgarter Zukunftsrede fest und beschreibt, wie sich Emotionen im Internet zu einer ganz eigenen Währung entwickelt haben. Das habe Folgen: Gefühle in der virtuellen Welt würden authentischer erlebt als in der realen Welt, so der Befund von Illouz.

Sie ist Profi in Sachen Gefühle und weiß, wie man gute Stimmung erzeugt. Nach einer Reihe Begrüßungsreden erklimmt Eva Illouz das Rednerpult im Stuttgarter Rathaus. Zu Ihrer Schande spreche sie kein Deutsch., so die Soziologin Aber sie sei überzeugt, dass da gerade nette Dinge gesagt wurden.

Noch ein kurzes Luftholen und dann wird es ernst.  Fast 70 Minuten spricht sie konzentriert, entschieden und sehr rational über eine Zukunft, die in Teilen schon begonnen hat. Ihre These: Gefühle und Technologie sind keineswegs zwei konträre Welten, sondern entwickeln sich in einem gegenseitigen Wechselspiel.

Eva Illouz hält die 3.Stuttgarter Zukunftsrede
Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität Jerusalem, der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris sowie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

Eva Illouz: 75 Prozent der Millenials ziehen Texten dem Sprechen vor

Dann wirft die Soziologin eine beeindruckende Zahl in den Raum: fünf Milliarden Emojis werden jeden Tag abgesetzt. Die netten kleinen Smileys, die durch Mails und Kurznachrichten wuseln, sind aber längst nicht mehr rein visuelle Übersetzungen von Gefühlsworten.

Sie haben ihre eigene Sprache, ein eigenes emotionales Wörterbuch geschaffen, beschreibt Illouz: „Sie drücken Gefühle aus, für die es kein bestimmtes Wort gibt. Kein Wort etwa entspricht genau dem beliebtesten, am häufigsten verwendeten Emoji: einem lachenden Gesicht mit zwei Tränen.“

Noch nie habe es eine Schriftsprache gegeben, die ausschließlich dafür bestimmt sei, Interaktion und Gefühlsausdruck zu imitieren. Und das habe tiefgreifende Konsequenzen. „Eine Untersuchung ergab, dass sage und schreibe 75 Prozent der Millennials es vorziehen, zu texten statt zu sprechen, was auf einen tiefen Wandel der Kommunikationsmuster hindeutet.“

Auswahl-Bildschirm für verschiedene Emojis auf einem Apple iPhone.
Emojis bringen Gefühlsausdrücke in Schriftsprache auf den Punkt, die mit Worten nur schwer zu umschreiben sind. Deshalb setzen gerade jüngere Menschen sie gerne zur Kommunikation ein.

Gefühle als Währung der digitalen Welt

Gefühle sind die neue Währung, konstatiert die Soziologin und verweist auf Influencer, die gutes Geld mit der Zurschaustellung ihrer Gefühle verdienen. Techno-Gefühlswaren sind für Eva Illouz kommerzielle Apps, die gute Emotionen zum Beispiel durch Meditation oder Atemtechnik, durch alle möglichen Angebote zur Steigerung des psychischen Wohlbefindens verkaufen.

Die virtuelle Spielewelt habe noch einmal eine ganz neue Entwicklung befördert:  die hohe Identifikation der Spielenden mit ihren Figuren erlaubt eine Fülle von Emotionen, die als sehr real empfunden wird. Ein Umstand, den Eva Illouz auf diese Formel bringt:

Die Virtualität ist eine Form der Realitätserschaffung mittels Emotionen.

Frau ca. 30 - 40 Jahre sitzt alleine auf einer Parkbank und starrt auf den Bildschirm ihres Handys.
75 Prozent der Millenials ziehen die Kommunikation über Kurznachrichten dem direkten Gespräch vor.

Eine Zukunft, in der Sternchen über Status entscheiden

An dieser Stelle wird es schwierig, sich nicht von der durchaus spannenden, aber doch komplexen Rede der Soziologin forttreiben zu lassen.

Gut nur, dass Eva Illouz dann mit ein paar Beispielen aus beliebten Science-Fiction-Serien illustrieren kann, wohin die Reise gehen könnte. In eine Zukunft zum Beispiel, in der menschliche Interaktion vom Kaffeetrinken bis zur zufälligen Begegnung im Fahrstuhl mit Sternchen bewertet werden.

Am Ende entscheidet der soziale Kredit über den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status.

Männliche Hand hält Mobiltelefon, auf dem um eine Bewertung gebeten wird. Daneben eine Tasse Kaffee.
Könnten Sterne-Bewertungen künftig zur wichtigen gesellschaftlichen Interaktion werden, die etwa auch beim gemeinsamen Kaffeetrinken erwartet werden?

„Die Realität ist durch die Vorführung von Authentizität ersetzt worden“

Das Fazit dieser Stuttgarter Zukunftsrede macht nachdenklich: Die Gefühlsmacht der virtuellen Welt erscheine authentischer als die reale Welt: „Die Realität ist durch die Vorführung von Authentizität ersetzt worden“, resümiert Eva Illouz. „Unser Zugang zum Realen ist deformiert, weil wir eine vorgeführte Authentizität der Realität vorziehen.“

Vor diesem Hintergrund wirbt Eva Illouz nachdrücklich für ein lebendiges Miteinander in der realen Welt, dafür, ganz handfeste Erfahrungen zu machen statt in einer Scheinwelt abzutauchen. 

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Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Sieben Stunden Bildschirmzeit: Geht Leben noch analog?

Mehr als acht Stunden am Smartphone, dazu 270 Mitteilungen - und das an einem einzigen Tag! Christian muss ganz schön schlucken, als er seine Handyzeit prüft. Und auch Pia würde das Handy gern öfter daheim liegen lassen. Nur leider ist das Smartphone im Alltag nicht mehr wegzudenken: Im Café gibt es das Menü nur über einen QR-Code, das Handy lotst einen durch die Stadt, es ersetzt die Uhr und auch immer öfter die EC-Karte: Ohne es zu hinterfragen, ist das Smartphone für viele der erste Gegenstand, den sie morgens in die Hand nehmen und abends aus der Hand legen. Ist Offline also der neue Luxus?

Der Buchautor und Politikwissenschaftler Andre Wilkens setzt auf einen “analogue Friday”: “Das ist ein Tag im Büro, an dem ich nicht am Computer und am Smartphone arbeite. Ich kann den ganzen Tag Sachen erledigen und bin nicht abgelenkt durch E-Mails oder Messenger.” Aber Wilkens weiß auch, dass man sich diesen Luxus leisten muss. Darüber schreibt er in seinem Buch “Analog ist das neue Bio”: “Menschen, die ärmer sind, müssen digital sein. Sie müssen digitale Deals machen und dafür mit ihren Daten bezahlen. Und die, die es sich leisten können, können digitale Retreats machen und alle Geräte abschalten.” Er plädiert für mehr Balance zwischen digital und analog.

Dass mehr Digitalisierung das Leben nicht unbedingt einfacher macht, das beobachtet Rena Tangens, Internetpionierin und Gründerin des Vereins ”Digitalcourage”: “Uns wird sehr viel Arbeit aufgebürdet. Wir müssen uns mit schlechter Software und den Geräten auseinandersetzen, damit auf der anderen Seite gespart wird.” Auch Pias Mama, unser Special Guest der Folge, macht das Sorgen: Wenn bei der Post oder im Bahnhof künftig nur Apps und keine Menschen weiterhelfen. “Daran möchte ich mich gar nicht erst gewöhnen.”

Wie viel Bildschirmzeit habt ihr durchschnittlich? Oder fällt es euch leicht, mal eine Weile offline zu sein? Mailt uns, auch mit Feedback und Themenvorschlägen, an kulturpodcast@swr.de.

Hosts: Pia Masurczak und Christian Batzlen
Showrunner: Kristine Harthauer

Tipps, um weniger zum Handy zu greifen, hat der Neurologe Martin Korte: “Frisch im Kopf” heißt sein Buch. Es ist bei DVA erschienen.

Und wie die digitale Revolution unser Leben in Zukunft verändern wird, darüber denkt Andre Willkens in “Analog ist das neue Bio. Eine Navigationshilfe durch unsere digitale Welt” nach. Erschienen bei Metrolit.

Wer genervt ist vom Digitalzwang im Alltag, also von Läden und Anbietern, bei denen nichts mehr geht, ohne eine App und ohne Daten, der kann das hier melden: https://civi.digitalcourage.de/digitalzwangmelder

Hier noch ein Podcast-Tipp aus der Redaktion: In "nicht witzig - Humor ist, wenn die anderen lachen" spricht der Journalist und Autist Manuel Stark mit den witzigsten Menschen Deutschlands - und bringt sie in so manche Erklärungsnöte: https://www.ardaudiothek.de/sendung/nicht-witzig-humor-ist-wenn-die-anderen-lachen/12662427/

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Auch für das diesjährige Weihnachtsfest stehen viele Eltern vor der Frage: sollen wir den Wunsch des Kindes nach einem Smartphone erfüllen? Die digitale Welt fordert Eltern heraus. 

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