„Deutschland ist viel zu zurückhaltend“

Historiker Tom Segev fordert deutsche Kritik an Israel im Gaza-Konflikt

Stand

60 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel gibt es scharfe Kritik an der deutschen Außenpolitik. Im Gespräch mit SWR Kultur fordert der israelische Publizist und Historiker Tom Segev von der Bundesrepublik mehr Einflussnahme auf Israel im Gaza-Konflikt.

Der 80-jährige Segev lobt im Interview grundsätzlich das deutsch-israelische Verhältnis: „Ich glaube, dass die Beziehungen zwischen Israel und Deutschland den deutschen Grundinteressen entspricht.“ Die umgekehrte Perspektive sei aber für eine Beurteilung des Verhältnisses ebenso wichtig: „Deutschland ist für Israel das zweitwichtigste Land geworden, nach Amerika.“

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Was in Gaza geschieht, reibt auch viele in Deutschland auf. Manuel Gogos hat den Diskurs nach dem 7. Oktober verfolgt und mit Menschen gesprochen, die selbst von den Ereignissen betroffen sind.
Von Manuel Gogos

Feature SWR Kultur

Ist Deutschland zu passiv?

Segev kritisiert jedoch, dass sich die Bundesregierung im aktuellen Krieg Israels gegen die Hamas-Terrororganisation im Gazastreifen zu passiv verhalte. Deutschland könne von Israel und seiner Regierung deutlich mehr verlangen.

Wörtlich meint er im SWR-Interview: „Seit vielen Jahren unterdrücken wir die Menschenrechte der Palästinenser und die Deutschen tun zu wenig.“

„Ich denke, dass man mehr tun sollte“

Nach Segevs Ansicht muss die Bundesregierung schärfer protestieren gegen das militärische Vorgehen Israels in dem Küstenstreifen. In diesem Konflikt sei der Versuch, ausgewogen zu reagieren sinnlos.

„Ich denke, dass man mehr tun sollte, dass die Palästinenser am Leben bleiben“, so Segev – und weiter: „Die Kinder, die in Gaza umgekommen sind – über 1.000 Kinder – die brauchen Hilfe.“

Historiker Tom Segev im Gespräch. Mit gefalteten Händen sitzt er in einem Wiener Kaffeehaus. (2023)
Der israelische Historiker und Journalist Tom Segev wird den sogenannten „Neuen Historiker“ zugeordnet, die eine Neubewertung der Geschichte des Zionismus und des Landes Israel fordern.

Israel ist für Druck empfindlich

Segev argumentiert, Israel sei ungeheuer empfindlich für Druck von anderen Ländern. Das zeige auch die Reaktion der Regierung Netanjahu auf die Politik der USA. Segev bilanziert den Einfluss Deutschlands: „Ich hatte immer den Eindruck, dass Deutschland viel zu zurückhaltend ist.“

Tom Segev wurde 1945 in Jerusalem als Sohn jüdischer Einwanderer aus Deutschland geboren. Er hat Geschichte und Politik in Jerusalem und in Boston studiert. Er war in den 1970er-Jahren Deutschland-Korrespondent der Tageszeitung „Ma'ariv“. Seine Erinnerung betitelte er 2022 mit „Jerusalem Ecke Berlin“.

Forum Israel, Gaza, Iran - Wie geht es weiter im Nahen Osten?

Thomas Ihm diskutiert mit
Peter Lintl, Nahostexperte, Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin
Bettina Meier, ARD-Korrespondentin für Israel und Palästina
Bente Scheller, Nahostexpertin bei der Heinrich Böll Stiftung

Forum SWR Kultur

ARD radiofeature Trailer: Medienkrieg im Nahen Osten

Über den Terrorangriff auf Israel und den Krieg in Gaza wird sehr unterschiedlich berichtet. Auch um die Deutungshoheit wird gerungen. Was bewirken die konträren medialen Narrative?

Die Sendung in voller Länge in der Audiothek:
https://www.ardaudiothek.de/episode/ard-radiofeature/medienkrieg-im-nahen-osten-doku-ueber-propaganda-im-gaza-konflikt/ard/14028635/

Feature SWR Kultur

Gespräch Angekommen! Jüdische Autor*innen schreiben in Deutschland

„1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ – das wird dieses Jahr gefeiert. Denn ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 belegt, dass damals bereits Jüdinnen und Juden in Köln lebten. Trotz der schweren Pogrome zu Beginn des Ersten Kreuzzugs (1096), während der Pest (1349) und auch trotz des noch immer unfassbaren Holocaust im 20. Jahrhundert leben bis heute Jüdinnen und Juden in Deutschland. In den letzten Jahrzehnten nimmt ihre Zahl sogar stark zu: durch den Zuzug osteuropäischer Juden aus der ehemaligen Sowjetunion und auch weil Berlin bei Israelis besonders beliebt ist. Viele Autorinnen und Autoren sind darunter, und sie bereichern das literarische Leben in Deutschland. Der Kritiker Carsten Hueck kennt die Details.
Carsten Hueck freut sich auf den Roman „Schicksal“ von Zeruya Shalev, der Ende Mai im Berlin-Verlag erscheint, und empfiehlt:
Chaim Grade: „Von Frauen und Rabbinern“
Aus dem Jiddischen von Susanne Klingenstein, Die Andere Bibliothek, 44 Euro.
Tomer Gardi: „Sonst kriegen Sie Ihr Geld zurück“
Aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer, Droschl, 20 Euro.

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