Wie die Kunst den Heiland hot machte

Zwischen Kunst und Kulturkrieg: Wie sexy darf Jesus sein?

Stand

Von Autor/in Dominic Konrad

Anfang 2024 erhitzte ein Plakat für die Feierlichkeiten zur Karwoche die Gemüter in Sevilla. Der Vorwurf: Das Bild des spanischen Künstlers Salustiano García Cruz mache Jesus Christus einfach zu sexy. Doch ein Blick in die Kunstgeschichte verrät: „Sexy Jesus“ ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Sein gutes Aussehen gehört sogar zum Markenkern.

Hohe Wangenknochen, feine Gesichtszüge, Modelmaße und ein suggestiv drapiertes Lendentuch: So zierte Jesus Christus im März 2024 die Straßen Sevilla. Auf Plakaten warb er für die „Semana Santa“, die Karwoche, die in der andalusischen Stadt wie vielerorts in Spaniens mit großen Prozessionen zelebriert wird. Gemalt hat das Porträt der in Sevilla lebende Künstler Salustiano García Cruz.

Salustiano Garcia Cruz : Jesus als Werbung für die Semana Santa 2024 in Sevilla
Ist dieser Jesus zu sexy für die Feierlichkeiten zur Karwoche in Sevilla? Nicht, wenn es nach seinem Schöpfer Salustiano Garcia Cruz geht.

Die Empörung war groß, vor allem im Internet. Garcías Jesus ist vielen zu hübsch, zu profan, zu kitschig – und eben auch zu sexy. Zugegebenermaßen: So wie Jesus auf dem Plakat posiert und nonchalant auf seine Seitenwunde zeigt, könnte er durchaus auch für Calvin Klein modeln.

Der Künstler selbst bestreitet alle unanständigen Absichten:

Wenn jemand in meinem Bild etwas Schmutziges sieht, dann ist das Folge seiner eigenen Schmutzigkeit, die er auf das Bild projiziert.

Als Kunsthistoriker fragt man sich ebenfalls, warum ein gutaussehender Jesus im Jahr 2024 die Gemüter derart erhitzte. Wer gelegentlich Kirchen oder Museen besichtigt, der wird es sicherlich bemerkt haben: In allen Kunstepochen sah Jesus überdurchschnittlich gut aus.

Hingucker Heiland: So sieht Christus in der Kunst aus

Leonardo da Vinci: Salvator Mundi
Feine, gütige Gesichtszüge, güldene Locken und feinstes Tuch: So malt wahrscheinlich Leonardo da Vinci um 1500 den „Salvator Mundi“, den Retter der Welt. Das wiederentdeckte Tafelbild wurde 2017 in New York für 450 Millionen US-Dollar versteigert. Bild in Detailansicht öffnen
Michelangelo: Christus als Erlöser in der Kirche Santa Maria Sopra Minerva (Rom)
Aus feinstem Carrara-Marmor meißelte Michelangelo seinen auferstandenen Christus (ca. 1520), der in der römischen Kirche Santa Maria sopra Minerva besichtigt werden kann. Das Lendentuch ist übrigens nicht von Michelangelo, er hatte Jesus so dargestellt, wie sein Vater ihn schuf. Bild in Detailansicht öffnen
Perugino: Taufe Christi
Fast nackt im Bade: Besonders viel Haut zeigt Jesus in den Bildern, die seine Taufe durch Johannes zeigen. Perugino malt ihn um 1500 mit drahtig-sportlichem Körperbau. Bild in Detailansicht öffnen
Guido Reni: Die Taufe Christi (1622-23)
Etwas weniger definiert kommt Jesus in der Tauf-Darstellung von Guido Reni (1622-23) daher. Dafür zeigt sich hier auch Johannes der Täufer mit freiem Oberkörper. Bild in Detailansicht öffnen
Raffaello Sanzio: Glorreicher Christus
Weniger muskulös ist auch der „glorreiche Jesus“ in dieser Kohleskizze von Raffael (1483 - 1520). Sie ist aber bezeichnend für dessen weichen Stil. Bild in Detailansicht öffnen
Albrecht Dürer: Selbstbildnis (1528)
Kein Christus-Bild im eigentlichen Sinne, aber deshalb umso interessanter: Angestachelt vom neuen Künstler-Bewusstsein der Renaissance porträtiert sich Albrecht Dürer selbst 1528 in Gestus und Optik des „Königs der Könige“. Bild in Detailansicht öffnen
Edouard Manet: Der tote Christus mit Engeln (1864)
Auch im Tod sieht Jesus gut aus. Edouard Manet verzichtet für seine Darstellung des Christus nach der Kreuzabnahme (1864) darauf, die Spuren seines Leidens – die Striemen der Geißelung und die Wunden der Kreuzigung und der Dornenkrönung – zu betonen. Bild in Detailansicht öffnen

Die Bibel macht keine Angaben zu Jesus' Aussehen

Vertraut man auf die Beschreibungen des Neuen Testaments, ist Jesus von Nazareth zum Zeitpunkt seines Todes am Kreuz etwa 33 Jahre alt – für heutige Verhältnisse relativ jung und unverbraucht hatte Jesus damit das ungefähre Durchschnittsalter erreicht. Im Lukas-Evangelium heißt es:

Jesus war, als er zum ersten Mal öffentlich auftrat, etwa dreißig Jahre alt. Er galt als Sohn Josefs.

Angaben zu Jesu Aussehen sucht man in der Bibel jedoch vergebens. Auch die ersten Christen scheuten sich davor, Christus in Porträts darzustellen. Zu groß war die Angst vor Verfolgung. Sie zeigten ihren Glauben vielmehr durch Symbole wie den bis heute gebräuchlichen Fisch.

Als früheste bildliche Darstellungen Christi gelten die des „Guten Hirten“. Sie zeigen einen bartlosen Jüngling in einer schmucklosen Tunika, der ein Lamm schultert. Doch auch diese Bilder sind mehr Sinn- als Ebenbild.

Darstellung des Guten Hirten: Marmor-Figur eines bartlosen Hirten in Tunika mit einem Lamm auf den Schultern.
Die frühesten figürlichen Christus-Darstellungen sind die des „Guten Hirten“ (hier: Marmorfigur aus dem 3. Jahrhundert). Sie zeigen nicht den historischen Jesus, als mögliches Vorbild gilt der mythische Sänger Orpheus.

Der Sex-Appeal Jesu gehört zum göttlichen Markenkern

Spätestens ab dem 8. Jahrhundert bleibt die Darstellung Christi weitestgehend konsistent: Jesus hat schulterlanges, braunes Haar, einen gepflegten, zweigeteilten Bart und, wenn sein Körper nicht gerade durch wallende Gewänder bedeckt ist, würde man ihn heutzutage durchaus als „gut gebaut“ bezeichnen.

Die westliche Kirche übernahm mit dieser standardisierten Darstellung Christi ein Vorbild aus der byzantinischen Ikonenmalerei. Deren optische Vorbilder stammen wiederum von antiken Götterbildern, vor allem Darstellungen des Jupiter, und Statuen prominenter Philosophen.

Matthias Grünewald: Auferstehung Christi (Isenheimer Altar)
Göttliche Erscheinung mit überirdischer Schönheit: In seiner Darstellung der Auferstehung am Isenheimer Altar zeigt Matthias Grünewald Christus als kosmische Lichtgestalt.

Über die Attraktivität Jesu wird unter Gelehrten heftig diskutiert: Die äußere Schönheit des Heilands soll mit der Schönheit der Frohen Botschaft einhergehen.

Spätestens die Künstlerinnen und Künstler der Renaissance betonen die Göttlichkeit Jesu durch seinen idealen Körper. Auch sie suchen ihre Vorbilder in der Antike und werden insbesondere beim römischen Sonnengott Apollo fündig. Er leiht Jesus künftig seine makellosen Gesichtszüge und den durchtrainierten Body.

Das Jesus-Bild wandelt sich mit dem Aussehen der Gläubigen

Das Christusideal der italienischen Renaissance verbreitet sich über Künstler wie Albrecht Dürer und Rogier van der Weyden auch im Norden Europas. Die Optik Jesu wird dabei dem Aussehen der Gläubigen vor Ort angepasst: Je weiter im Norden Europas Jesus gemalt wird, desto heller wird seine Haut und desto blonder sein Haar.

Joe Cauchi: Black Jesus Blesses the Children
Jesus als Afrikaner? In Schwarzen Gemeinden ist die Abbildung von „Black Jesus“ keine Seltenheit. Warum auch? Schließlich dürfte diese Darstellung nicht weniger weit vom historischen Jesus entfernt sein als der weiße Jesus der europäischen Kunst.

In Afrika oder afroamerikanischen Gemeinden stellt man Jesus hingegen eher als Schwarzen Mann dar. In Asien erhält Jesus asiatische Gesichtszüge und schwarzes Haar. Bei all dieser Vieldeutigkeit fragt man sich doch: Wie sah eigentlich der echte Jesus aus?

Das versuchten Historiker und Forensikerinnen 2001 im Rahmen einer Dokumentation der BBC herauszufinden. Sie untersuchten Schädel jüdischer Männer aus dem Gebiet des antiken Judäa und aus der Zeit um Christi Geburt. Ihre Vermutung: Der historische Jesus hatte dunklere Haut, struppiges, kurzes Haar, einen Bart und ein deutlich breiteres Gesicht als seine Darstellungen in der europäischen Kunst vermuten lassen.

Computeranimierte Darstellung eines möglichen Porträts des historischen Jesus (BBC)
Sah so der historische Jesus von Nazareth aus? 2001 versuchten sich Forscher*innen für eine Dokumentation der BBC an einer Rekonstruktion vom Gesicht Jesu.

War das Problem in Sevilla eher Sexualität als Sexiness?

Wenn Jesus also schon seit Jahrhunderten als jung, schön und muskulös dargestellt wird, warum empörte sich das Internet dann ausgerechnet über den Jesus aus Sevilla?

Die Antwort ist so einfach wie entlarvend: Der Christus von Salustiano García Cruz sah seinen Kritiker*innen einfach zu knabenhaft, zu feminin – und damit letztlich „zu schwul“ aus. Der Künstler selbst kommentierte in der spanischen Zeitung „El Mundo“:

Ein schwuler Christus, weil er hübsch aussieht und ansehnlich ist. ich bitte Sie! Wir leben im 21. Jahrhundert.

In Zeiten, in denen ultrakonservative von den Vereinigten Staaten über Ungarn bis Russland gegen die ominöse Bedrohung einer „woken Weltverschwörung“ zum Angriff blasen, ist leider niemand mehr vor derlei Anfeindungen sicher. Nicht mal Jesus, nicht mal an Ostern.

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Dominic Konrad, Autor und Redakteur bei SWR Kultur und SWR Musik