Ausstellung in Weil am Rhein

Shaker-Möbel im Vitra Design Museum: Stühle für eine utopische Gesellschaft

Stand

Von Autor/in Matthias Zeller

Bekannt wurde die christliche Freikirche der „Shaker“ aus den USA für ihre schlichten Holzstühle. Das Vitra Design Museum widmet sich nun den Entwürfen der Glaubensgemeinschaft.

Wie konnte eine amerikanische Freikirche aus dem 18. Jahrhundert Generationen von Künstlerinnen, Architekten und Designerinnen weltweit inspirieren? Diese Frage beantwortet das Vitra Design Museum in Weil am Rhein in seiner Ausstellung „Die Shaker. Weltenbauer und Gestalter“.

Besonders bekannt wurden die christliche Glaubensgemeinschaft der „Shaker“ aus den USA für ihre in Handarbeit gefertigten Holzstühle, die sich wegen ihrer Funktionalität und schlichten Schönheit gut verkaufen ließen.

Sitzbank, Canterbury oder Enfield, New Hampshire, ca. 1855
Sitzbank, Canterbury oder Enfield, New Hampshire, ca. 1855.

Zwischen Offenheit und Verschworensein

Bereits die ersten zwei Ausstellungsobjekte erzählen viel über die Mentalität der Shaker: Ein Radiogerät mit einem Gehäuse aus Holz und, etwas weiter, eine vier Meter lange Holzbank.

Das Radiogerät symbolisiert die Offenheit der Gläubigen für die Nachrichten, die davon berichten, was auf der Welt so los ist. Die Bank hingegen steht für ihre verschworene Glaubensgemeinschaft.

„Die Größe war ausgerichtet auf die großen Gruppen der Mitglieder. In den Shaker-Wohnhäusern lebten bis zu hundert Menschen zusammen“, erklärt Mea Hoffmann, die die Ausstellung kuratiert hat. „Das heißt: Der Kollektivgedanke schwingt in jeglicher Gestaltung mit, für den Eigennutzen.“

Radio, Canterbury, New Hampshire, ca. 1922-1923
Radio, Canterbury, New Hampshire, ca. 1922-1923.

Funktional und mit Materialen aus „Gottes Schöpfung“

An den feinen Verstrebungen der Kirchenbanken lässt sich die Hingabe der Handwerker ablesen. Die landwirtschaftlich orientierten Shaker arbeiteten besonders viel mit Holz. Bewusst sollten Materialien aus der Natur verwendet werden, die sie als Gottes Schöpfung ansahen.

Ein Leitspruch der Shaker lautete „labour as worship“, Arbeit als Anbetungsform also – das Machen als spiritueller Akt, so die Kuratorin. „Die Objektkultur ist Ausdruck ihrer Werte. Alles, was als Sünde angesehen werden konnte, als eine Zelebrierung des eigenen Egos, wurde abgelegt.“ So stand die Funktionalität im Fokus jedes Objekts.

Die Kombination aus Funktionalität und schlichter Schönheit hat den Produkten der Shaker einen Markt erschlossen: Sie verkauften Stühle – vom Kinderstuhl bis zum Rollstuhl aus Holz – in verschiedenen Größen, Kleider, Spanschachteln und Holzkisten für Saatgut.

Stuhl mit Kippmechanismus, Mount Lebanon, New York, ca. 1850
Stuhl mit Kippmechanismus, Mount Lebanon, New York, ca. 1850.

Gesellschaftsutopie als Design

Genauso spannend wie handgearbeiteten Gegenstände findet Mateo Kries, Direktor des Vitra Design Museums, die Gedankenwelt dieser christlichen Freikirche: Die Shaker seien eigentlich Utopisten gewesen, die eine Gesellschaft entwarfen, die nicht ihrer Zeit entsprach. Wie ganzheitlich dieser Anspruch war, auch das zeige die Ausstellung:

Die Objekte hier sind Ausdruck einer gesellschaftlichen Haltung, in der es um Arbeit als Ausdruck des Glauben, um Pazifismus und um die Gleichberechtigung von Mann und Frau geht. Wir sehen hier eine komplette Gesellschaftsutopie, heruntergebrochen auf Design.

„Shaker“ wurden sie übrigens deshalb genannt, weil sie ihre Körper in religiöser Ekstase beim Tanzen schüttelten.

Dwellinghouse (1830), Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024
Dwellinghouse (1830), Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024.

Neu interpretiert: Gemeindehaus der US-Künstlerin Amie Cunat

Im Obergeschoss des Weiler Vitra Design Museums steht ein maßstabsgetreu nachgebautes, aber neu interpretiertes Gemeindehaus aus blau angestrichenem Holz mit großem Fenster. In solchen Häusern hielten die Shaker ihre Gottesdienste ab. Entworfen hat den Nachbau die US-Künstlerin Amie Cunat.

Was an ihrem Kunstwerk auffällt: Sie hat den Holzofen nicht in, sondern vor das Gebäude gestellt. Ein Detail, das sich auch auf die USA der Gegenwart beziehen lässt: Wie offen, wie verschlossen ist das Land? „Ich bin besorgt und auch nervös wegen der Lage in unserem Land. Und das ist auch in der Arbeit gegenwärtig, die ich mache“, so die Künstlerin.

Joseph Becker »The Shakers of New Lebanon«, Holzschnitt, Mount Lebanon, New York, 1873
Joseph Becker »The Shakers of New Lebanon«, Holzschnitt, Mount Lebanon, New York, 1873. Bild in Detailansicht öffnen
Innenraum eines Wohnhauses, Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024
Innenraum eines Wohnhauses, Hancock Shaker Village, Hancock, Massachusetts, 2024. Bild in Detailansicht öffnen
Schwester Sarah Collins beim Weben einer Sitzfläche für einen Stuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1935-36
Schwester Sarah Collins beim Weben einer Sitzfläche für einen Stuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1935-36. Bild in Detailansicht öffnen
Hochstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1880–83
Hochstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1880–83. Bild in Detailansicht öffnen
Schaukelstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1850-70
Schaukelstuhl, Mount Lebanon, New York, ca. 1850-70. Bild in Detailansicht öffnen
Landwirtschaftliche Werkzeuge
Landwirtschaftliche Werkzeuge. Bild in Detailansicht öffnen
Verschiedene Spanschachteln und Holzschnittmuster
Verschiedene Spanschachteln und Holzschnittmuster. Bild in Detailansicht öffnen
Umhänge aus Wolle
Umhänge aus Wolle. Bild in Detailansicht öffnen
Saatgutkiste, Mount Lebanon, New York, ca. 1880
Saatgutkiste, Mount Lebanon, New York, ca. 1880. Bild in Detailansicht öffnen

Es macht die ohnehin spannende Ausstellung des Vitra Design Museums noch facettenreicher, dass sich die Macher gegen eine rein historische Ausstellung entschieden haben. Neben Amie Cunat treten noch weitere Künstler mit ihren Werken in den Dialog mit den Shakern. So wird deutlich, dass deren Impulse für Kunst und Design weiterleben.

Was geht - was bleibt? Zeitgeist. Debatten. Kultur. Science Fiction und Design: Wie sieht unsere Zukunft aus?

Der Weltraum hat vor allem die Zukunftsvorstellung in den 60er- und 70er-Jahren geprägt. Schriftsteller*rinnen und Filmemacher*innen begannen damals, Science-Fiction-Szenarien zu entwerfen; die vielleicht bekanntesten, darunter natürlich die verschiedenen Star Trek-Serien. Darin entstand ein ganzes Design-Universum mit Innenausstattungen, die heute Klassiker sind. Irgendwo zwischen pragmatischer Form und bunter Fantasiewelt. Was ist vom utopischen Gehalt dieser Zukunftsdesigns damals geblieben und welche Ideen haben und brauchen wir heute als Gesellschaft?

„Die Neugierde für das Unbekannte, für neue Technologien bleibt heute noch aus dieser Zeit“, meint Susanne Graner, die die Ausstellung „Science Fiction Design“ vom Vitra Design Museum mit kuratiert hat. Auch im Design zeige sich diese Neugierde in einer immer wiederkehrenden Lust, mit neuen Materialien zu arbeiten und Formen auszuprobieren.

Allerdings war damals das Zukunftsbild sehr positiv konnotiert, sagt sie. Es wurden Utopien geschaffen. Heute hingegen gehe es mehr um zukünftige Dystopien, erklärt Friedrich von Borries, Professor für Designtheorie und kuratorische Praxis an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg. „Die Szenarien, die wir heute haben, sind beklemmender und weniger begeisternd“, sagt er.

Statt um die Entdeckung fremder Planeten geht es heute um die Eroberung einer virtuellen Welt: Das Metaverse. Eine tolle Möglichkeit für Gesellschaftsentwürfe, sagt Susanne Graner. Das, was das Metaverse gerade anbiete, sei „echt nicht aufregendes“, kontert Friedrich von Borries. Denn es gebe reelle Räume, wie zum Beispiel historische Orte und Gebäuden, die „aufregendere und abgefahrene Räume als das Metaverse erzeugen“.

Wie schaut für euch die Zukunft aus? Habt ihr bereits tolle Möbelstücke aus der Zukunft? Schickt uns eure Meinungen per E-Mail an kulturpodcast@swr.de.

Host: Christian Batzlen, Pia Masurczak
Showrunner: Giordana Marsilio

Links:
Fan-Seiten mit Design-Klassikern aus Star Trek gibt es viele, Star Trek + Design ist eine besonders schön aufbereitete: https://star-trek.design/
Ausstellung „Science Fiction Design: Vom Space Age zum Metaverse”: http://www.design-museum.de/de/ausstellungen/detailseiten/science-fiction-design.html
Friedrich von Borries – „Stadt der Zukunft“ https://www.fischerverlage.de/buch/friedrich-von-borries-benjamin-kasten-stadt-der-zukunft-wege-in-die-globalopolis-9783596704323

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DIY-Wohnung: Patrick gibt alten Möbeln ein neues Design

Patrick findet, dass man aus fast jedem Möbelstück noch etwas herausholen kann. In seiner Wohnung ist nichts neu gekauft, alle Einrichtungsgegenstände hat er umgebaut, aufgearbeitet oder selbst kreiert. Patrick liebt DIY und ist ein großer Upcycling-Fan.

Landesschau Baden-Württemberg SWR BW

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