Zukunft der Stadtplanung

Was wir von der Modellstadt Groningen lernen können

Stand
Autor/in
Hannegret Kullmann
Hannegret  Kullmann, Autorin bei SWR Kultur
Sophia Volkhardt
Sophia Volkhardt

Wenig Autos, kurze Fußwege, viel Grün: Die Stadtplanung der niederländischen Stadt Groningen gilt in vieler Hinsicht als gelungen. Ein Grund: Schon vor knapp hundert Jahren leitete sie wegweisende Schritte ein. Eine Ausstellung im Zentrum Baukultur in Mainz beleuchtet nun ihre vorbildliche Entwicklung.

Wie können Städte lebenswerter gestaltet werden? Eine Frage, die gerade mit Blick auf den Klimawandel oder soziale Gerechtigkeit schon lange diskutiert wird und weiter allgegenwärtig ist. Es gibt viele Konzepte, aber es hapert an der Umsetzung. Trotzdem gibt es Städte, die zeigen, wie es funktionieren kann.

Stadtansicht
Wie können Städte in Zeiten von Klimawandel und Platzmangel lebenswerter gestaltet werden? Die Stadt Groningen im Norden der Niederlande hat da Vorbildcharakter: Durch vorausschauende und mutige Entscheidungen rangiert die Stadt als einer der glücklichsten Orte weltweit. Die Stadt gilt als nachhaltig, resilient, kompakt und lebendig.

Die niederländische Stadt Groningen mit knapp 240.000 Einwohner*innen hat sich als eine Art Modellstadt gemausert. Mit mutigen und visionären Schritten ist die Stadt ein Beispiel, wie sich mittelgroße Städte zu attraktiven Wohnorten wandeln können.

Ausstellung: „Mutige Stadt, mutige Entscheidungen“

Welche mutigen Entscheidungen zu dieser positiven Stadtentwicklung beigetragen haben, zeigt eine Ausstellung im Zentrum Baukultur in Mainz: „Mutige Stadt, mutige Entscheidungen. Wie sich Groningen in eine Modellstadt verwandelte“. Die Schau will zum Diskutieren und Handeln anregen.

Konzipiert wurde sie von dem niederländisch-deutschen Architekturbüro „De Zwarte Hond“ – der schwarze Hund. Der Blick auf Groningens Geschichte zeige, dass die Stadt schon vor knapp hundert Jahren wegweisende Schritte einleitete, erklärt Matthias Rottmann, Leiter der Kölner Niederlassung von „De Zwarte Hond“.

Aufsteller in einer Ausstellung
Wie kann man Städte heute lebenswert und nachhaltig gestalten? Die Ausstellung „Mutige Stadt, mutige Entscheidungen - Wie sich Groningen in eine Modellstadt verwandelte“ im Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz im Brückenturm in Mainz geht dem nach.

Ein Masterplan aus den 1920ern

Bereits in den 1920er-Jahren ließ die Stadt von dem niederländischen Architekten Henrik Petrus Berlage einen Masterplan entwickeln, der das Wachstum der Stadt mit bedachte und an den sich sehr lange gehalten wurde. Dieser Plan ist geprägt von Straßen, die verbindende Achsen darstellen.

„Die Linien führen immer weiter: In den nächsten Stadtteil, ins nächste Quartier. Es ist eine ganz starke Vernetzung, eine Kontinuität im öffentlichen Raum“, erklärt Rottmann.  

Stadtplan
Reproduktion des Masterplans des niederländischen Architekten Henrik Petrus Berlage von 1928.

Wie ein kompakter Kern liegt Groningen zwischen zwei Flüssen inmitten der grünen Landschaft Westfrieslands. Die dichte Struktur sorgt dafür, dass hier gut auf ein Auto verzichtet werden kann. Das Konzept der sogenannten „15-Minuten-Stadt“, in der man in einer Viertelstunde alle Alltagsdinge zu Fuß erledigen kann, lasse sich hier tatsächlich leben, betont Rottmann.

Stadtansicht
Der Groninger Vismarkt früher. In den 1960er-Jahren sah das Zentrum von Groningen komplett anders aus als heute. In der gesamten Innenstadt waren Autos unterwegs.

Keine Umgestaltung zur „autogerechten Stadt“

Diese Tatsache hat sicher dazu beigetragen, dass die Groninger vor 50 Jahren ganz bewusst auf die Umgestaltung zur „autogerechten Stadt“, die sich an den Bedürfnissen des motorisierten Individualverkehrs orientiert, verzichteten. Solch eine Umgestaltung prägt das Bild vieler Städte wie Stuttgart, Ludwigshafen, Hannover oder Dortmund bis heute.

Stadtansicht
Neue Brücke über den Grachten-Ring, der das Zentrum umschließt. Die Brücke wurde gebaut, nachdem der Stadtrat von Groningen 2016 entschieden hatte, Busse nicht mehr durch die Mitte des Stadtzentrums fahren zu lassen.

Anfang der 1970er-Jahre entwarf Groningen einen Verkehrsmanagementplan, der bis heute gilt: Die mittelalterliche Kernstadt wurde in vier Zonen eingeteilt. Architekt Matthias Rottmann erklärt das Prinzip: „Ich kann von außen noch reinfahren, aber ich kann auf jeden Fall nicht mehr durchfahren.“ Nur zu Fuß oder mit dem Rad kann man von einem Teil der Innenstadt in den anderen gelangen.

Die Entscheidung war damals ein sehr mutiger Weg, der sich im Nachhinein als richtig erwiesen hat. Das lässt sich in der Ausstellung in Mainz anhand von Fotos, Plänen und kurzen Texten nachvollziehen.

Fahrradstraße in Groningen
Groningen ist eine Studierenden– und Fahrradstadt. Wer radelt, kommt dank der vielen Fahrradstraßen und Radschnellwege schneller ans Ziel.

Öffentliche Einrichtungen in der Innenstadt

Die Ausstellung präsentiert aber noch einen weiteren Grundsatz, der für die Entwicklung Groningens bis heute entscheidend ist: Die bestehende Stadt soll gestärkt werden und nicht an den Rändern „ausfransen“, wie man es von den meisten Städten kennt. Auch eine stadtplanerische Entscheidung aus den 1970er-Jahren.

Natürlich wäre es einfacher gewesen, beispielsweise ein Krankenhaus oder eine Universität außerhalb auf eine grüne Wiese zu bauen, erklärt Matthias Rottmann. Aber in Groningen habe man sich damals dafür eingesetzt, dass die öffentlichen Einrichtungen in der Innenstadt bleiben.

Stadtansicht
Das moderne „Forum“ Groningen inmitten der historischen Altstadt. Es beherbergt verschiedene Einrichtungen, darunter die städtische Bibliothek. Außerdem ist es kulturelles Zentrum mit Kino- und Veranstaltungssälen. Das 45 Meter hohe Gebäude wurde 2019 eröffnet.

Kein leichtes Unterfangen, denn die Weiterentwicklung einer Stadt auf begrenztem Raum erfordert viel Kreativität, aber auch den Mut, Altes abzureißen und Neues entstehen zu lassen. Als gelungene Beispiele zeigt die Schau verschiedene Gebäude, unter anderem die Bibliothek von Giorgio Grassi, die sich harmonisch in die historische Altstadt einfügt.

Neues Kulturzentrum in der Altstadt

Ein weiteres prominentes Beispiel ist das Kulturzentrum „Forum“ von NL Architects, das mitten in der Stadt wie ein Fels nach oben ragt. Das Kulturzentrum liegt direkt in der historischen Altstadt und verbindet hinter einer futuristischen Fassade öffentlichen und privaten Raum. Das „Forum“, das von einer Stiftung betrieben wird, ist täglich für alle frei zugänglich.

Der historische Kern der Innenstadt, der von Leerstand bedroht war, sollte durch das vielfältig genutzte Gebäude neu belebt werden. Ziel war es, dass hier ganz unterschiedliche Bevölkerungsgruppen zusammenkommen. Ein Ort, an dem nicht zwangsläufig etwas konsumiert werden muss.

Ausstellungsansicht
Die Ausstellung „Mutige Stadt, mutige Entscheidungen. Wie sich Groningen in eine Modellstadt verwandelte“ im Zentrum Baukultur Rheinland-Pfalz in Mainz zeigt, welche visionären städteplanerischen Entscheidungen in der Vergangenheit getroffen wurden. Unter anderem das Konzept „Raum für Raum" eines jungen Architektur- und Stadtplanungsbüros von 1989, das die Planung des öffentlichen Raumes neu aufstellte. Unter anderem mit unterschiedlicher Pflasterung öffentlicher Plätze.

Strategien mit Vorbildcharakter: Auch für Mainz?

Zur Ausstellung gehört auch eine Online-Plattform, auf der zukunftsweisende stadtplanerische Ideen aus ganz Europa zusammengetragen werden sollen. Eine Art Sammlung von Projekten und Strategien mit Vorbildcharakter.

„Wir wollen auch zeigen, dass das nicht auf Groningen begrenzt ist, sondern dass es an ganz vielen Orten gute Entscheidungen und gute Projekte gibt. Projekte, bei denen man hinschauen sollte, um davon zu lernen“, erklärt Stadtplaner Rottmann.

So endet der Rundgang der Ausstellung im Zentrum Baukultur in Mainz an einem Stadtplan der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz. Auch in Mainz braucht es innovative Ideen für die Stadtentwicklung. Wer die Ausstellung besucht, der kann sich inspirieren lassen. An dem Stadtplan können Klebezettel für „mutige Ideen" für die eigene Stadt festgehalten werden.

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