Bedeutende Kirche der Nachkriegszeit

Zwischen Abriss und Umnutzung: Kampf für den Erhalt der Stuttgarter Pauluskirche

Stand

Von Autor/in Silke Arning

Die Pauluskirche in Stuttgart ist ein markantes Beispiel für die Kirchenarchitektur der Nachkriegszeit. Doch ihre Zukunft ist ungewiss: Sie ist sanierungsbedürftig, zugleich besuchen immer weniger Menschen den Gottesdienst. Dennoch kämpft ein Komitee für den Erhalt der Kirche, deren besondere Architektur eine Ausstellung der Fotografin Rose Hajdu noch bis zum 18. Mai würdigt.

Er ist von allen Hängen Stuttgarts zu sehen: der Campanile der Pauluskirche, der höchste Glockenturm der Stadt. Verblüffend istauch der großzügige Innenraum der Kirche, der 800 Besucherinnen und Besuchern Platz bietet. Und damit ist er nach der Liederhalle der zweitgrößte Saal im Stuttgarter Westen.

Trotz dieser Ausmaße schmiegt sich die Kirche unauffällig an die dicht bebaute Umgebung an. Ein schlichtes, zugleich selbstbewusstes Bauwerk, das der Architekt Heinz Rall entworfen hat. Fotografin Rose Hajdu hat es in all seinen originellen, einzigartigen Details erkundet.

Das Besondere an der Pauluskirche sei das Licht, erklärt Hajdu: „Die Pauluskirche hat ja dieses lange, bunte Fensterband von (Maler Christian) Oehler. Und es gibt am Vormittag, wenn die Sonne reinschaut, wunderschöne Lichtspiele auf den Bänken, auf dem Boden. So wie die Sonne wandert, wandern auch die Lichtspiele.“

Kirchenraum der Pauluskirche
Die Betonglasfenster des Stuttgarter Künstlers Christian Oehler (1909 - 1986) tauchen das Kirchenschiff in ein magisches Licht. Aktuell ist hier eine Ausstellung der Fotografin Rose Hajdu zu den Kirchenbauten Heinz Ralls zu sehen.

Die „Normalste“ unter den Kirchen von Heinz Rall

Tatsächlich entfaltet sich an diesem Vormittag ein buntes Lichtspektakel auf dem Kirchenboden. Insgesamt elf Kirchen des Architekten Heinz Rall hat Rose Hajdu intensiv studiert und für ihre Ausstellung und einen Bildband fotografiert. Die Pauluskirche sei die „Normalste“ meint sie.

Der Architekt habe viel experimentiert, keine Kirche gleiche der anderen. Echte Hingucker sind seine kreativen Zeltdach-Entwürfe, die sich mal bis auf den Boden ziehen oder, wie bei der Pauluskirche, gefaltet sind.

Das Dach der Pauluskirche besteht aus einem Zickzack von sieben kleinen Giebeln
Eine Decke wie Origami: Das Dach der Pauluskirche besteht aus einem Zickzack von sieben kleinen Giebeln.

„Die Pauluskirche hat eine ganz mächtige Decke, wo man einerseits denkt, sie würde einem gleich auf den Kopf fallen, weil sie so aus Beton und schwer ist“, erklärt Hajdu, „und gleichzeitig dadurch, dass so gefaltet ist, sieht sie unheimlich leicht aus. Als wäre sie aus Papier geknickt und gefaltet.“

Von unten betrachtet, gleicht die Decke einem überdimensionalen Origami-Schmetterling, den Eindruck von Schwerelosigkeit verstärken zusätzlich die ungewöhnlich zierlichen Stützpfeiler.

Heinz Ralls Architektur: Schlicht, aber raffiniert

Wolfram Steinmayer hat in den 1960er-Jahren als Studienpraktikant im Architekturbüro Rall gelernt und gearbeitet. Jetzt steht er vor der imposanten Altarwand und ist noch immer begeistert: „Das ist ein Gönninger Tuff, also ein Naturstein. Da hatte ich das Glück, zusammen mit einem ausgebildeten Maurer die Altarwand hochzuziehen. Da bin ich nach vielen Jahrzehnten immer noch stolz drauf.“

Schlicht, aber dennoch raffiniert, stets mit einer besonderen Note versehen, präsentiert sich die Architektur Heinz Ralls. So bestehen die Seitenwände der Pauluskirche aus simplen Lochziegeln, die jedoch nicht brav Reihe um Reihe aufeinandergemauert wurden: Sie drehen sich in alle Richtungen, stehen quer oder senkrecht, sind schmal oder mit Löchern versehen.

Ralls Handschrift beschreibt Wolfram Steinmayer so: „Er hat zu mir gesagt: Du kannst aus einer guten Architektur eine schlechte machen, indem Du ein Sammelsurium an Materialien überall einbaust. Heinz Rall war unglaublich darauf bedacht, wenig unterschiedliche Materialien zu verwenden und diese Materialien einfach ehrlich zu zeigen.“

Kirchenraum mit Orgel der Pauluskirche in Stuttgart-West
Kirchenraum mit Orgel: Die Pauluskirche ist nach der Liederhalle der größte Konzertsaal in Stuttgart-West.

„Paulus hat Zukunft“ engagiert sich für den Erhalt

Wolfram Steinmayer engagiert sich wie Julia Kleinarth im Komitee „Paulus hat Zukunft“ für den Fortbestand der Kirche. Beide kommen aus dem Quartier, beide verbindet eine lange, innige Geschichte mit der Kirche, die an den Gottesdiensten gut besucht und vor allem bei Konzerten immer voll sei.  

Dennoch: die Zukunft ist ungewiss. Die evangelische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart hat erst einen Abriss erwogen, dann aber doch noch einmal eine dringend notwendige Sanierung der Außenpfeiler finanziert.

Dadurch gibt es jetzt noch eine kleine Atempause, aber keine Entwarnung: „Momentan spricht man nicht mehr von Abriss“, so Julia Kleinarth. „Aber es ist tatsächlich so, dass diese Kirche mit Beschluss auf einer Liste der Gesamtkirche gelandet ist und dort als verzichtbar steht.“

Eingangsbereich der Pauluskirche in Stuttgart
Als eine der größten Kirchen Stuttgarts steht die Pauluskirche oberhalb des Bismarckplatzes, umgeben von Wohnhäusern.

Gemeinschaftlich und gesellschaftlich vielfältig nutzbar

Ein Konzept für die Zukunft gebe es noch nicht. Genau dafür aber streitet das Paulus-Komitee und macht schon heute deutlich, dass die Kirche für das Viertel eine Riesenchance bietet.

„Deswegen fordert das Komitee, dass es einen breit aufgestellten Beteiligungsprozess geben muss an diesem Ort“, sagt Julia Kleinarth. „Weil dieser Ort in seiner baulichen Größe ein wichtiger, gemeinschaftlicher und gesellschaftlich vielfältig nutzbarer Ort ist. Heute und in Zukunft, für Kinder, für Familien, für Musiker, für sonstige Kultur und für Kinderbetreuung.

Julia Kleinarth ist sich sicher: „Da ist so viel möglich, dazu braucht es aber ein Ausprobieren.“

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