Medardo Rosso brachte Licht und Luft in die Bildhauerei und schuf zarte Wachsgebilde, zu einer Zeit, als das Kriegerdenkmal noch als skulpturale Königsdisziplin galt. In einer großen Retrospektive entdeckt das Kunstmuseum Basel den italienischen Bildhauer als „Erfinder der Modernen Skulptur“.
Rosso brachte Fluidität in die Skulptur
Ein zartes Kinderköpfchen schält sich aus einem Klumpen Wachs. Grobe Bearbeitungsspuren an Schädel und dem, was vielleicht der Torso sein könnte, lassen das Gesichtchen umso verletzlicher erscheinen.

Das Werk entstand um 1892. Zu dieser Zeit war Wachs für Bildhauer nur für Studienzwecke üblich, Medardo Rosso machte daraus Kunst. Rosso wollte lebendig wirkende Skulpturen schaffen und so gelang ihm die Erneuerung der Bildhauerei.
„Skulptur bedeutet eigentlich: Dauerhaftigkeit, Stabilität, Schwere. Er macht fließende, tastende, immer nur vorläufige Objekte daraus“, sagt Kuratorin Heike Eipeldauer. „Er schafft es, das alte, vermeintlich unmoderne Medium zu verlebendigen und für die flüchtige Moderne sozusagen fit zu machen.“
Prozesse sichtbar machen
Fast identische Kinderköpfchen schuf Rosso auch in Gips und Bronze. Er variierte seine Motive immer wieder und tat das so, dass man ihm quasi beim Arbeiten zusehen konnte. Er ließ Gussränder stehen oder die Unterkonstruktion blieb sichtbar.

Das heißt, Rosso beschäftigte sich um 1900 bereits mit künstlerischen Themen, die eigentlich erst in den 1960er Jahren aufkamen: Prozesse sichtbar machen, serielles Arbeiten. Oder: Wie konkret muss die Form sein, um erkannt zu werden?
Atemberaubende Kunst-Begegnungen in Basel
Die Basler Ausstellung stellt den Werken Rossos über 60 Gemälde, Skulpturen und Videoinstallationen der letzten 100 Jahre gegenüber. Etwa von Andy Warhol, Louise Bourgois, Meret Oppenheim oder Rosemarie Trockel.
So ergeben sich atemberaubende Begegnungen. Etwa zwischen einer Art Bronze-Ei von Constantin Brancusi, das nur anhand leichter Andeutungen als Kopf erkennbar ist – und Medardo Rossos Madame X, ein gelbes Wachsgebilde mit Augenhöhle, fast abstrakt.

1918 der „zweifellos größte lebende Bildhauer“
Die Basler Ausstellung zeigt außerdem 250 Fotografien von Medardo Rosso: „Rosso war der erste Bildhauer, der intensiv mit Fotografie gearbeitet hat. Für ihn war Fotografie nicht einfach ein Dokument, sondern ein Objekt, ein Material. Er hat es geschnitten, re-fotografiert, er hat das Verhältnis von Licht und Objekt untersucht.“
Medardo Rosso war befreundet mit Edgar Degas, Amedeo Modigliani und Auguste Rodin. Zahlreiche Künstler nahmen auf ihn Bezug, einige darunter zeigt die Basler Ausstellung. Eine Pariser Zeitschrift nannte ihn 1918 den „zweifellos größten lebenden Bildhauer“.
Politisch radikale Ansichten
Warum blieb er dem breiten Publikum trotzdem unbekannt? Vielleicht auch, weil er auch politisch radikale Ansichten vertrat: Er war Anarchist, gegen den Nationalstaat und für offene Grenzen. Als Künstler ließ er sich schwer einordnen. Er sei Impressionist, aber auch Realist und Dadaist gewesen.
„Er hat eben nicht das große Meisterwerk geschaffen, er hat alltägliche Geschichten erzählt mit anonymen Figuren aus der Großstadt“, erklärt Heike Eipeldauer. „Es ist wirklich die Darstellung einer flüchtigen Moderne und die Erkenntnis, dass alles immer nur vorläufig sein kann.“
Mehr Ausstellungen
Ausstellung im Schmuckmuseum Pforzheim Von schweren Goldketten und großen Diamant-Ringen – „stories of HipHop“
Dicke Goldketten mit Kreuzanhängern, goldener Zahnschmuck: Wie wichtig der richtige Schmuck beim Hip-Hip-Style ist, zeigt eine außergewöhnliche Ausstellung im Schmuckmuseum Pforzheim.
Opas Knipse als Lifestyle-Objekt Ausstellung „Staubfrei“ in Mannheim – Widerständige Fotokunst der analogen Art
Zeitgenössische Fotokunst auf analoger Basis zeigt der Mannheimer Ausstellungsraum „Port25“. Unter dem Titel „Staubfrei“ sind bis zum 20. Juli Werke von fünf Fotokünstlern versammelt.
Selbstermächtigung in den 1970er-Jahren Frauen stehen auf: Die Ausstellung „Stand Up! Feministische Avantgarde“ in Stuttgart
Die eindrucksvolle Fotoausstellung in der Staatsgalerie zeigt, dass Künstlerinnen schon vor 50 Jahren um ihre Sichtbarkeit im Kunstbetrieb rangen. Die Schieflage ist bis heute geblieben.