Das Museum für Alltagskultur zeigt in Gemmrigheim eine Ausstellung über den Umgang mit der Atomkraft nebenan. In Objekten und Erinnerungen von Anwohnern spiegelt sich eine kontroverse Epoche, von festem Glauben an die Machbarkeit des technisch Möglichen bis zur anhaltenden Angst vor dem strahlenden Erbe der Kernkraft.
Ein altes Wegerecht gilt auch für das Kernkraftwerksgelände
Die festungsartigen Zäune von Kernkraftwerken haben schon viele demokratische Gewissheiten auflaufen lassen und noch jeden Demozug zum Stehen gebracht. Auch die Meiler von Neckarwestheim sind von Betonbarrieren mit NATO-Draht umgeben, doch eins ist hier anders: Jedermann und -frau kann dieses nukleare Sperrgebiet friedlich durchqueren, ganz einfach durch Spazierengehen.

„Es gibt nämlich ein altes Wegerecht, das über das Gelände des Kernkraftwerks führt. Das ist der sogenannte Treidelpfad“, erklärt Antonia Schnell vom Landesmuseum Württemberg. „Man muss dann allerdings klingeln und wird vom Wachschutz begleitet.“
Die Reaktorkuppel als Belvedere?
Wir stehen an einem Wanderparkplatz auf den Höhen zwischen Gemmrigheim und Neckarwestheim, zu unseren Füßen an einer malerischen Flussschleife das AKW. Der Parkplatz heißt „Zur schönen Aussicht“, ohne Ironie.
Wo also der Wanderer im Kernkraftwerk willkommen ist und wo eine Reaktorkuppel als Belvedere gilt, dort könnte ein Projekt interessant werden über die Beziehungen der Nachbarschaften zum Erbe der Atomkraft: Die „Kern-Geschichten“, ein Gastspiel des Landesmuseums in der Alten Kelter Gemmrigheim.

„Seit April 2024 waren wir immer wieder in den Ortschaften unterwegs“, erläutert Kuratorin Antonia Schnell. „Wir haben beispielsweise Erzählcafés in Neckarwestheim durchgeführt, da sind vor allem ehemalige MitarbeiterInnen des Atomkraftwerks gekommen. Wir haben Gespräche angeboten, Podiumsdiskussionen, wir sind mit Marktständen zu verschiedenen Dorffesten gegangen und sind so dann auch auf verschiedene lokale Widerstandsbewegungen getroffen.“
Ein breites Spektrum an Meinungen zur Kernkraft
Im Material, das die Museumsleute zusammentragen konnten, zeigt sich denn auch das ganze Spektrum von Pro und Contra. Und manchmal beides gleichzeitig – etwa im Gespräch mit Joachim Kämpf, der einige Exponate beisteuert, und der 32 Jahre als Elektrotechniker im Kraftwerk gearbeitet hat.
Beim Thema Entsorgung zeigt er Übereinstimmung mit den Kernkraftgegnern. Die letzten 50 Jahre hätten da alle geschlafen, alles vor sich hergeschoben, kritisiert er. Das klingt verwirrend aus dem Mund eines Fachmanns, der sein ganzes Berufsleben der Kernenergie gewidmet hat.
Tschernobyl als Ansporn, Kernkraftwerke sicherer machen zu wollen
Als er sich dazu entschied, waren es gerade die Risiken dieser Technologie, die Joachim Kämpf anspornten, sein Bestes zu geben. „Tschernobyl damals, das hat mich betroffen gemacht“, erzählt Kämpf. Das gab für ihn den Ausschlag, zu denken, dafür könne man was tun. „Und ich bin heute noch überzeugt, unsere Technik haben wir im Griff gehabt“, sagt er. „Unsere Kraftwerke sind einfach weltweit die besten.“

Für viele direkte Anwohner war die Kernenergie offenbar nicht der Schrecken, den sie bei vielen draußen im Land auslöste. Das zeigt ein Exponat aus Philippsburg: Als dort 2019 die Kühltürme gesprengt wurden, kamen 1.500 faustgroße Betonbrocken als Souvenirs auf den Markt – viel weniger, als es Interessenten gab.
„An diesen Bruchstücken scheint irgendetwas dran zu sein für die Menschen“, meint auch Antonia Schnell, „weil diese Kühltürme ja auch ganz oft markante Orientierungen in Landschaften sind. Und diese Orientierung, dieses Bild gibt es in Philippsburg nicht mehr.“

Von drei Generationen Betrieb bleiben 40.000 Generationen Strahlung
Neckarwestheim hat einen extrem flachen Kühlturm. Hier bildete die Dampfwolke aus Kühlwasser die Landmarke. In der Ausstellung ist sie vielfach präsent – als Fotomotiv eines Nachbarn, der sie hunderte Mal knipste; und als halb ironischer Ausspruch einer Großmutter, die nach der Abschaltung ihre Enkel fragt, wie sie denn jetzt nach Hause finden solle, ohne Wolke.
Atomare Glut als Wärmespender im Heimatbild – das ist in Neckarwestheim immer noch die Realität. Das letzte Exponat der Ausstellung, ein gelbes Blechfass, thematisiert die Zwischenlagerung von Castoren auf dem Kraftwerksgelände. Der Text dazu lautet:
Von 3 Generationen Betrieb bleiben 40.000 Generationen Strahlung. Das Fass ist seit 2009 im Demo-Einsatz. Es wird noch lange gebraucht.
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