Ein bärtiger Mann mit Brille hinter einer elektrischen Heimorgel - so bestritt Hanns Dieter Hüsch seine Kabarett-Abende. Sein Vortragsstil, eine Art Sprechgesang, war einzigartig. Er erinnert an einen mittelalterlichen Bänkelsänger oder einen Prediger. Hüsch selbst verstand sich als „philosophischer Clown“ und „literarischer Entertainer“.
Mit kritischem Blick sezierte Hanns Dieter Hüsch den bundesrepublikanischen Alltag und nahm dabei vor allem „die kleinen Leute“ aufs Korn – mit lauten und mit leisen Tönen, mal kritisch, mal versöhnlich. Hüsch wurde vielfach ausgezeichnet, allein der Deutsche Kleinkunstpreis wurde ihm gleich zweimal verliehen, 1972 und 1982.

Jugend im „Dritten Reich" und Mainzer Studienjahre
Hüsch wuchs im Nationalsozialismus auf. Er wurde 1925 im niederrheinischen Moers geboren, als Sohn eines Beamten. Weil er mit einer Fehlstellung der Füße zur Welt kam, musste er als Kind häufig operiert werden. Spiel und Sport waren ihm kaum möglich. In der häuslichen Zurückgezogenheit begann er, erste Texte zu schreiben.
Wegen seiner Füße blieb ihm der Kriegsdienst erspart, stattdessen wurde er als Luftschutzhelfer verpflichtet. Hüsch wollte am liebsten Opernregisseur werden, bekam aber keinen passenden Studienplatz. 1946 schrieb er sich an der neu eröffneten Universität Mainz für Theaterwissenschaft, Literaturgeschichte und Philosophie ein.
Im Umfeld der Mainzer Uni konnte Hüsch sein kreatives Potenzial entfalten: 1948 trat er dort in der Aula zum ersten Mal offiziell auf. Danach schloss er sich dem studentischen Kabarett-Ensemble „Die Tol(l)eranten“ an und spielte im Mainzer Zimmertheater mit. 1954 präsentierte er sein erstes abendfüllendes Programm: „Das literarische Klavier“.
Moritaten von Hanns Dieter Hüsch (1960)
Vielseitige künstlerische Vita
Hanns Dieter Hüsch erwies sich als vielseitiger Künstler: Er arbeitete nicht nur als Kabarettist, sondern auch als Buchautor, Moderator, Liedermacher, Schauspieler und sogar Synchronsprecher: Über viele Jahre hinweg war seine Stimme in der ZDF-Sendereihe „Väter der Klamotte“ zu hören, die amerikanische Stummfilme im Stil von „Dick und Doof“ zeigte.
Mehr als 40 Jahre lebte er in Mainz. Seine Karriere ist eng mit dem Mainzer „Unterhaus“ verbunden. Die Kleinkunstbühne wurde 1966 gegründet. Hier war Hüsch regelmäßig zu Gast, hier fanden auch oft die Premieren seiner neuen Bühnenprogramme statt, von denen er insgesamt 70 erarbeitet und aufgeführt hat.

Politische Stimme, aber nicht politisch genug
Ende der 1960er-Jahre wurde Hanns Dieter Hüsch politischer. Doch manchen Achtundsechzigern war er nicht politisch genug. „Meinem Rot war immer ein bisschen Weiß beigemischt“, sagte er selbst rückblickend in einem WDR-Interview. Auf dem alternativen Burg Waldeck-Festival im Hunsrück 1968 wurde er deshalb ausgepfiffen. Gekränkt zog er sich in die Schweiz zurück.
Nach der Krise kam der Durchbruch: Hüsch kehrte auf die deutschen Kabarettbühnen zurück, schrieb Bücher, veröffentlichte Schallplatten, arbeitete für Radio und Fernsehen. Von 1976 bis 1978 spielte er den Familienvater in der ARD-Serie „Goldener Sonntag“. In dieser Zeit entwickelte er auch seine nörgelnde Kunstfigur „Hagenbuch“.
Hanns Dieter Hüsch war überzeugter Protestant und trat regelmäßig auf Kirchentagen auf. Nach dem Tod seiner Frau Marianne zog er 1988 von Mainz nach Köln, heiratete noch einmal. Zehn Jahre später wurde bei ihm Lungenkrebs diagnostiziert, im Jahr 2000 gab er seine Abschiedstournee. Nach einem Schlaganfall zog er sich zurück und verstarb 2005.

Ein Phänomen seiner Zeit
Hanns Dieter Hüsch hat das literarische Kabarett geprägt wie kein anderer. Viele seiner heutigen Kollegen wurden durch ihn beeinflusst oder inspiriert, unter ihnen Jürgen Becker, Max Moor oder Lars Reichow. Gleichwohl: An seinen Auftritten scheiden sich die Geister. Für die einen war er ein Poet, andere fanden seine Vortragsweise unausstehlich.
Ganz sicher aber war Hanns Dieter Hüsch ein Phänomen seiner Zeit. Ein genauer Beobachter der Kleinbürger und Spießer im Nachkriegsdeutschland, Antifaschist und Pazifist. In der heutigen Kabarett-Welt, die von der Comedy überlagert wird, hätte er es sicher schwer. In den 1970er- und 1980er-Jahren aber holte er viele Menschen mit seiner Kunst ab.