Im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart können sehbehinderte und blinde Menschen derzeit die ältesten Kunstwerke der Welt erleben. Bei der Ausstellung „Urformen. Eiszeitkunst zum Anfassen“ können sie eintauchen in die Zeit vor 40.000 Jahren. Detailgetreue Nachbildungen von Höhlenlöwen und Mammuts aus einem 3D-Drucker ermöglichen das. Besucherinnen und Besucher können die Kunstfiguren berühren und sich an Hör- und Riechstationen in die Steinzeit versetzen lassen. Ein innovatives Ausstellungskonzept, das wegweisend sein könnte.
Eine Ausstellung zum Sehen und Fühlen
Vorsichtig tastet Matthias Nagel mit seinen Fingern über ein kleines, blaues Pult. Der Raumplan im Ständesaal des Landesmuseums ist haptisch dargestellt, mit Balken zum Fühlen und in Blindenschrift.
Der 32-Jährige ist seit seiner Schulzeit nahezu blind. Im Alltag orientiert er sich mit einem Blindenstock. Matthias Nagel hat als Berater zur inklusiven Gestaltung von Kulturangeboten die Ausstellung im Landesmuseum mit konzipiert.
„Das Thema Behinderung ist relativ groß, und auch beim Thema Blindheit und Sehbehinderung gibt es wahnsinnig viele Unterschiede“, erklärt er. „Es gibt Menschen, die blind sind und sich im Alltag mit dem Blindenstock bewegen, es gibt aber auch Menschen, die nur eine Sehbehinderung haben. Denen ist mit größeren Kopien oder Kontrasten schon wahnsinnig viel geholfen. Und genauso gibt es auch Menschen, die von Geburt an blind sind und deshalb auch die Brailleschrift erlernt haben. Aber auch Menschen, die erst im Laufe ihres Lebens erblindet sind und deshalb in der Schule die klassische Schwarzschrift erlernt haben.“
Blinde und seheingeschränkte Menschen haben von Anfang an mitgewirkt
Auf insgesamt knapp 120 Quadratmetern kann an insgesamt fünf Stationen Kunst aus der Eiszeit mit allen Sinnen erlebt werden. Besucherinnen und Besucher können die Kunstfiguren berühren und sich an Hör- und Riechstationen in die Steinzeit versetzen lassen.
Von Anfang an wurden blinde und seheingeschränkte Menschen in die Planungen der Ausstellung mit eingebunden. In sogenannten Fokusgruppen wurde über ein Jahr erarbeitet, auf was es dabei ankommt, sagt der Referatsleiter für Steinzeiten am Landesmuseum, Fabian Haack.
Der Mehrwert sei vor allem, eine Ausstellung für alle Besucherinnen und Besucher zu machen, nicht vor allem für die seheingeschränkten und blinden: „Deswegen gibt es ja die Figuren zum Anfassen, zum Riechen, zum Hören, es gibt auch Sachen zum Sehen natürlich. Das heißt aus meiner Sicht ist die Erarbeitung mit den Blinden ein Ziel eine Ausstellung zu schaffen, die für alle einen Mehrwert bietet.“
Ein innovatives Ausstellungskonept, das wegweisend sein könnte
Damit die Besucher an den nachgebildeten Kunstfiguren auch Details ertasten können, wurden die Originale im 3D-Drucker eingescannt und 7fach vergrößert. Ein innovatives Ausstellungkonzept, das vielleicht wegweisend sein könnte, so die Landesmuseums-Direktorin Christina Haak:
„Wir haben Objekte, denen es nicht guttun würde, wenn wir sie anfassen. Wir Restauratoren machen das dann mit den Handschuhen. Aber es ist zum Beispiel, um Materialität zu erfahren, ein Unterschied, ob Sie Elfenbein anfassen, oder Metall oder asiatisches Lackkunstwerk. Und diese Erfahrung zu machen – der Mensch hat nicht umsonst 5 Sinne.“
Sehen, Riechen, Hören, Tasten – alles möglich bei der Ausstellung „Urformen. Eiszeitkunst zum Anfassen“ im Landesmuseum Württemberg.
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