Wie täuschen uns Bilder im Netz? Wie verführen und verlocken sie uns, wenn wir endlos scrollend in der digitalen Welt unterwegs sind? Kuratorin Doris Gassert geht mit ihrem Team in der neuesten Schau im Fotomuseum Winterthur diesen Fragen nach.

Verstörende Fotos verschwinden in einer Ästhetik der Niedlichkeit
Hinter einem schimmernd weißen Tuch scheint ein gemütlicher Ort zu sein. Durch einen Spalt kann man einen rosafarbenen Plüschteppich sehen, darauf viele Kuschelkissen. Alles eingetaucht in warmes Licht. Doch bevor man diesen Raum betreten will, gibt es für diese Arbeit der Künstlerin Noura Tafeche eine sogenannte Triggerwarnung: „Achtung. Diese Installation enthält Material, das verstörend und erschreckend wirken kann.“
Gemeint sind die vielen Abbildungen auf den Kissen: Zwischen Manga-Figuren mit liebenswerten Rehaugen posieren Männer in Uniform mit Gewehren: militärische Propaganda. Aber auch Rassismus und Frauenfeindlichkeit sind in den Szenen zu entdecken.
Solche Fotos schwirren überall im Netz herum, verpackt in eine Ästhetik der Niedlichkeit und deshalb vermeintlich harmlos, so die Kuratorin Doris Gassert: „Es ist wichtig, aufzuzeigen: Diese Bilder sind auf TikTok, auf Facebook. Und sie werden von den Plattformen nicht als problematisch erkannt und zensiert, weil sie über eine Dance-Challenge militärische Propaganda machen. Dann fällt das so eben auch durch.“









Wie täuschen uns Bilder im Netz? Wie verführen und verlocken sie uns, wenn wir endlos scrollend in der digitalen Welt unterwegs sind? Seit zehn Jahren beschäftigt sich das Fotomuseum Winterthur mit diesen Fragen. Und zeigt in der aktuellen Schau, wie sich die Rolle der Fotografie im Netz verändert.
Klischee-Bilder setzen sich im Netz durch KI-Bildgeneratoren fort
Wie sehr dabei Stereotype und standardisierte Fotografien eine Rolle spielen, zeigt die Arbeit des amerikanischen Künstlers Micheal Mandiburg. Er hat 130 Millionen Fotos aus Bilddatenbanken analysiert, um visuelle Muster im Netz rauszufiltern.
Für Business-Themen erscheinen etwa weiße Männer im Anzug, bei Gesundheitsthemen, weiße Frauen lächelnd oder mit schmerzverzerrtem Gesicht. Dabei setzten sich die Klischees unendlich fort, da diese Bilder wiederum genutzt werden, um KI-Bildgeneratoren zu trainieren.
Diese künstlich intelligenten Systeme kreieren diese Bilder aufgrund von visuellen Daten, an denen sie trainiert wurden. Und diese unglaublich viele Datenbanken enthalten unglaublich viele stereotype Darstellungen. Und so schleichen sich die gesellschaftlichen Vorurteile, die wir gegen gewisse Menschen haben, in diese technischen Systeme ein.
Stereotypen auch bei Selbstdarstellungen auf Tinder
Und natürlich darf bei der Frage nach Anziehungskraft von Bildern im Netz das Thema Online-Dating nicht fehlen. Die Künstlerin Jenny Rova zeigt in ihrer Arbeit „My Matches on Tinder“, wie sich ihre Match-Partner alle in ganz ähnlichen Posen präsentieren: etwa mit freiem Oberkörper vor Naturkulisse, die Arme weit ausgestreckt.

In ihren Collagen stehen die Männer dann wie in einem Kreis, ihre Hände scheinen sich zu berühren. Selbst hier spielen Stereotypen eine große Rolle: Man will eigentlich einzigartig sein. Und doch machen am Ende alle eine sehr ähnliche Form der fotografischen Selbstinszenierung.
Hunderte von schönen Landschaften gegen entwürdigende Bilder im Netz
Dass Bilder im Netz auch Protest sein können, zeigt schließlich die Arbeit von Zoe Aubry. 2020 wurde die junge Mexikanerin Ingrid Vargas von ihrem Mann ermordet. Die Fotos der verstümmelten Leiche gerieten unter ihrem Namen ins Netz.
Aktivistinnen haben dann hunderte wunderschöne Landschaftsbilder mit ihrem Hashtag gepostet, mit dem Ziel, die entwürdigenden Fotos sozusagen aus dem Netz herauszuschwemmen. Eine Bilderwand mit 348 dieser Fotos erzählt von dieser Aktion.

Differenzierter Blick auf die digitale Bilderwelt in Winterthur
Bilder im Netz können manipulieren, täuschen, Vorurteile schüren, bieten aber auch die Möglichkeit, im positiven Sinne Solidarität zum Ausdruck zu bringen.
Dieser differenzierte Blick auf die digitale Bilderwelt ist die Stärke der Ausstellung in Winterthur. Und dass man dabei die neuesten Arbeiten von wirklich spannenden zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern kennenlernt.
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