Im Mai 1975 startete der erste Prozess gegen die RAF, im speziell erbauten Hochsicherheitssaal in Stuttgart Stammheim. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg widmet diesem Kapitel der bundesdeutschen Auseinandersetzung mit dem Terror eine Ausstellung, die die Besucher sozusagen in den Gerichtssaal katapultiert.
Gelb-orange sind die Schalensitze aus Plastik, auf denen schon damals vor 50 Jahren die interessierte Öffentlichkeit Platz nahm. Jetzt stehen die Funktionsmöbel aus dem Stammheimer Prozesssaal im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart.
Den drei Stuhlreihen gegenüber, ein weiteres geschichtsträchtiges Möbel: der Original-Richtertisch des ersten RAF-Prozesses. Kein traditionsreiches Stück aus Massivholz, es ist eher eine blau weiße Bank mit Löchern für die Mikrophone.

Versuchen, einen Eindruck davon zu vermitteln
Ein besonderes Setting, erklärt Ausstellungsleiter Rainer Schimpf:
„Wir können die Situation natürlich nicht rekonstruieren, das Gebäude ist inzwischen abgerissen. Wir können aber etwas konstruieren. Die Originalmöbel helfen dabei. Wir können versuchen, einen Eindruck davon zu vermitteln. Und das scheint uns 50 Jahre später immer noch sehr wichtig zu sein, um Mythen und Zweifeln entgegenzutreten und möglichst auch Aufklärung zu bieten.“
50 Jahre Stammheim-Prozess Die RAF und der Kult um den Schrecken
Seit Beginn des ersten RAF-Prozesses in Stuttgart-Stammheim vor 50 Jahren wird die Terrorgruppe auf der Bühne, in Kunst und Film wahlweise entlarvt oder romantisch verklärt.
Tonbandaufnahmen als zentrale Komponente
Auf drei Projektionswänden im Hintergrund sind alle Prozessparteien zu sehen. Weil es keine Videomitschnitte von der Verhandlung gibt, auf Zeichnungen. Sehr lebendig eingefangen von Gerichtszeichner Erich Dittmann. Und es gibt auch was zu Hören.

Zentrale Komponente der Ausstellung sind Tonbandaufnahmen von dem Prozess, bei dem alle Seiten zu Wort kommen. Tonaufnahmen waren in bundesdeutschen Gerichten zu der Zeit eigentlich nicht erlaubt, sie sollten nur Gedächtnisstütze für den Gerichtsschreiber sein, der einige Bänder aufbewahrte.
Sie ruhten Jahrzehnte vergessen in den Kellern des Gerichts, wurden vor einigen Jahren wiederentdeckt und liegen jetzt im Staatsarchiv in Ludwigsburg.
Das Herausfordernde war, die Tonbandsequenzen so auszuwählen, dass zum Beispiel der Angeklagte Andreas Baader nicht als der Held erscheint. (...) Sondern das jede Seite zu Wort kommt und ihre Position deutlich wird.
Eine Verhandlung wie ein Schauspiel
Die oft hitzigen Wortwechsel vor Gericht stehen auch stellvertretend für die Zeit – die Konfliktlinien verlaufen quer durch Justiz, Politik und Gesellschaft. Immer wieder nutzen die Gründungsmitglieder der RAF und ihre Verteidiger die Verhandlung, um ihre politischen Ansichten deutlich zu machen

Die Verhandlung gerät fast zu einer Art Schauspiel, bei dem die mörderischen Anschläge, deretwegen die Angeklagten vor Gericht stehen und die sie auch zugeben, in den Hintergrund geraten.
Stammheim als Festung
Durch einen semitransparenten Vorhang flimmern außerdem mehrere Überwachungs-Monitore. Auch hier wieder Originalstücke aus dem Gerichtsgebäude Stuttgart Stammheim: Damals neuste Sicherheitstechnik, die hier sozusagen als Teil der Geschichte vor dem Abriss bewahrt wurde, erklärt Ausstellungsleiter Schimpf.

„Stammheim ist in mehrfacher Hinsicht ein Mythos. Das fängt damit an, dass das Gebäude für viele der Inbegriff einer Festung ist. Dabei wird vergessen: Andreas Baader war 1970 gewaltsam befreit worden. Insofern waren Justiz und Polizei gut beraten, einen Sitzungsort zu planen, der möglichst sicher war.“
Das Ergebnis war aber, dass das Bild von einem Staat entstand, der sich hinter hohen Betonwänden verschanzte, so Schimpf.
Fernsehberichte bereichern die Ausstellung
Neben den Monitoren laden Vertiefungsstationen, iPads mit unterschiedlichem Anschauungsmaterial, dazu ein, noch weiter auf Zeitreise zu gehen.
Fernsehberichte aus den Siebzigerjahren setzen sich kritisch mit den umstrittenen sogenannten RAF-Paragraphen auseinander, unter anderem das Kontaktsperre-Gesetz, das die Isolation der RAF-Terroristen ermöglichte.
Außerdem erinnert die Ausstellung an die Begleiterscheinungen des RAF-Prozesses. Zum Beispiel die Entführung von Hanns Martin Schleyer, um die Gefangenen aus dem Gefängnis freizupressen.
Sorgfältig vorbereitete Ausstellung
Es ist eine kleine, aber sorgfältig vorbereitete Ausstellung, die sehr nüchtern erzählt: von dem wegweisenden Prozess, den Ereignisse begleiteten, die die Bundesrepublik erschütterten und bis heute nicht loslassen.
Die medienwirksame Festnahme der mutmaßlichen Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette im letzten Jahr zeigt, noch immer sind viele Fragen mit Blick auf die RAF offen. Vielleicht kann der aktuelle Prozess gegen Klette – auch wieder im eigens gebauten Sicherheitssaal – ein paar von ihnen beantworten?
Mehr zum RAF-Prozess in Stammheim:
21.5.1975 Der Baader-Meinhof-Prozess beginnt in Stuttgart-Stammheim
21.5.1975 | Stuttgart-Stammheim. Beginn des Prozesses gegen Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe.
Sicherheitskontrollen wie noch nie bei einem bundesdeutschen Gerichtsverfahren. Ansonsten: Eine Angeklagte, die im Gerichtssaal raucht. Drei Rechtsanwälte, darunter Hans-Christian Ströbele, die durch einen Trick ihrem Gerichtsausschluss entgehen wollten. Und im Luftraum über Stammheim taucht auch noch ein verdächtiges Sportflugzeug auf.
Das war der Stand der Dinge in der Mittagsausgabe von SDR1 Aktuell. Am Nachmittag gab es schon eine Weiterentwicklung – dann war auch klar, was es mit dem Sportflugzeug auf sich hatte.
4.5.1976 Baader kritisiert Stammheim-Prozess, Schily fordert Nixon als Zeuge
4.5.1976 | Der Stuttgarter Stammheim-Prozess gegen die Mitglieder der RAF zieht sich hin. Der Angeklagte Andreas Baader wirft dem Gericht vor, dass der Prozess aus wahlkampftaktischen Gründen künstlich in die Länge gezogen werde. Baader sieht das Gerichtsverfahren letztlich als Spiegelbild der globalen Machtverhältnisse.
Mehr zur RAF:
1972 bis 1989 Die RAF und der Deutsche Herbst
Der Herbst 1977 war eine düstere Zeit – geprägt vom Terror der RAF. Der Deutsche Herbst hatte eine lange Vor- und Nachgeschichte.
Sprechen wir über Mord?! Morden im Kollektiv – True Crime | Die RAF und der Deutsche Herbst
Im Herbst 1977 entführen Mitglieder der RAF Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer. Sie fordern die Freilassung von elf inhaftierten Terroristen. Doch der Staat lässt sich nicht erpressen. Andreas Baader, Jan-Carl Raspe und Gudrun Ensslin nehmen sich in Stammheim das Leben. Schleyer wird erschossen. Im Herbst 2023 diskutieren der ARD Terrorismusexperte Holger Schmidt und der ehemalige Bundesanwalt Thomas Fischer über die damaligen Ereignisse, über individuelle und kollektive Schuld und über den 1976 eingeführten Paragraphen 129a StGB: „Bildung terroristischer Vereinigungen“.
In der Online-Doku "RAF-Terror: Die Entführung von Hanns Martin Schleyer" rekonstruieren unsere KollegInnen von WDR Lokalzeit MordOrte den Fall rund um Hanns Martin Schleyer. Außerdem beschäftigen sie sich mit der Frage, welche gesellschaftlichen und politischen Auswirkungen der "Deutsche Herbst" hatte. Große Empfehlung!
https://www.youtube.com/watch?v=A561hUw02b4