Haus der Geschichte Stuttgart

Ausstellung „Stammheim 1975“: Der Gerichtssaal im RAF-Prozess

Stand

Von Autor/in Sophia Volkhardt

Im Mai 1975 startete der erste Prozess gegen die RAF, im speziell erbauten Hochsicherheitssaal in Stuttgart Stammheim. Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg widmet diesem Kapitel der bundesdeutschen Auseinandersetzung mit dem Terror eine Ausstellung, die die Besucher sozusagen in den Gerichtssaal katapultiert.

Gelb-orange sind die Schalensitze aus Plastik, auf denen schon damals vor 50 Jahren die interessierte Öffentlichkeit Platz nahm. Jetzt stehen die Funktionsmöbel aus dem Stammheimer Prozesssaal im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart.

Den drei Stuhlreihen gegenüber, ein weiteres geschichtsträchtiges Möbel: der Original-Richtertisch des ersten RAF-Prozesses. Kein traditionsreiches Stück aus Massivholz, es ist eher eine blau weiße Bank mit Löchern für die Mikrophone.

Original-Richtertisch im RAF-Prozess
Über dem Original-Richtertisch wird in der Ausstellung sichtbar, wer 1975 an diesem saß.

Versuchen, einen Eindruck davon zu vermitteln

Ein besonderes Setting, erklärt Ausstellungsleiter Rainer Schimpf:

„Wir können die Situation natürlich nicht rekonstruieren, das Gebäude ist inzwischen abgerissen. Wir können aber etwas konstruieren. Die Originalmöbel helfen dabei. Wir können versuchen, einen Eindruck davon zu vermitteln. Und das scheint uns 50 Jahre später immer noch sehr wichtig zu sein, um Mythen und Zweifeln entgegenzutreten und möglichst auch Aufklärung zu bieten.“

Stuttgart

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Tonbandaufnahmen als zentrale Komponente

Auf drei Projektionswänden im Hintergrund sind alle Prozessparteien zu sehen. Weil es keine Videomitschnitte von der Verhandlung gibt, auf Zeichnungen. Sehr lebendig eingefangen von Gerichtszeichner Erich Dittmann. Und es gibt auch was zu Hören.

Blick in die Lounge-Ausstellung „Stammheim 1975 - Der RAF-Prozess“
Blick in die Lounge-Ausstellung „Stammheim 1975 - Der RAF-Prozess“.

Zentrale Komponente der Ausstellung sind Tonbandaufnahmen von dem Prozess, bei dem alle Seiten zu Wort kommen. Tonaufnahmen waren in bundesdeutschen Gerichten zu der Zeit eigentlich nicht erlaubt, sie sollten nur Gedächtnisstütze für den Gerichtsschreiber sein, der einige Bänder aufbewahrte.

Sie ruhten Jahrzehnte vergessen in den Kellern des Gerichts, wurden vor einigen Jahren wiederentdeckt und liegen jetzt im Staatsarchiv in Ludwigsburg.

Das Herausfordernde war, die Tonbandsequenzen so auszuwählen, dass zum Beispiel der Angeklagte Andreas Baader nicht als der Held erscheint. (...) Sondern das jede Seite zu Wort kommt und ihre Position deutlich wird.

Eine Verhandlung wie ein Schauspiel

Die oft hitzigen Wortwechsel vor Gericht stehen auch stellvertretend für die Zeit – die Konfliktlinien verlaufen quer durch Justiz, Politik und Gesellschaft. Immer wieder nutzen die Gründungsmitglieder der RAF und ihre Verteidiger die Verhandlung, um ihre politischen Ansichten deutlich zu machen

Die teils heftigen Wortwechsel des 1975 begonnen Gerichtsverfahrens können in der Ausstellung verfolgt werden
Die teils heftigen Wortwechsel des 1975 begonnen Gerichtsverfahrens können in der Ausstellung verfolgt werden.

Die Verhandlung gerät fast zu einer Art Schauspiel, bei dem die mörderischen Anschläge, deretwegen die Angeklagten vor Gericht stehen und die sie auch zugeben, in den Hintergrund geraten.

Stammheim als Festung

Durch einen semitransparenten Vorhang flimmern außerdem mehrere Überwachungs-Monitore. Auch hier wieder Originalstücke aus dem Gerichtsgebäude Stuttgart Stammheim: Damals neuste Sicherheitstechnik, die hier sozusagen als Teil der Geschichte vor dem Abriss bewahrt wurde, erklärt Ausstellungsleiter Schimpf.

Stammheim 1975: Der RAF Prozess - Ausstellung im Haus der Geschichte
Objekte aus dem Überwachungsraum des Gerichtsgebäudes und der Recherchetisch der Ausstellung.

„Stammheim ist in mehrfacher Hinsicht ein Mythos. Das fängt damit an, dass das Gebäude für viele der Inbegriff einer Festung ist. Dabei wird vergessen: Andreas Baader war 1970 gewaltsam befreit worden. Insofern waren Justiz und Polizei gut beraten, einen Sitzungsort zu planen, der möglichst sicher war.“

Das Ergebnis war aber, dass das Bild von einem Staat entstand, der sich hinter hohen Betonwänden verschanzte, so Schimpf.

Fernsehberichte bereichern die Ausstellung

Neben den Monitoren laden Vertiefungsstationen, iPads mit unterschiedlichem Anschauungsmaterial, dazu ein, noch weiter auf Zeitreise zu gehen.

Fernsehberichte aus den Siebzigerjahren setzen sich kritisch mit den umstrittenen sogenannten RAF-Paragraphen auseinander, unter anderem das Kontaktsperre-Gesetz, das die Isolation der RAF-Terroristen ermöglichte.

Außerdem erinnert die Ausstellung an die Begleiterscheinungen des RAF-Prozesses. Zum Beispiel die Entführung von Hanns Martin Schleyer, um die Gefangenen aus dem Gefängnis freizupressen.

Sorgfältig vorbereitete Ausstellung

Es ist eine kleine, aber sorgfältig vorbereitete Ausstellung, die sehr nüchtern erzählt: von dem wegweisenden Prozess, den Ereignisse begleiteten, die die Bundesrepublik erschütterten und bis heute nicht loslassen.

Die medienwirksame Festnahme der mutmaßlichen Ex-RAF-Terroristin Daniela Klette im letzten Jahr zeigt, noch immer sind viele Fragen mit Blick auf die RAF offen. Vielleicht kann der aktuelle Prozess gegen Klette – auch wieder im eigens gebauten Sicherheitssaal – ein paar von ihnen beantworten?

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