Der Europäische Architekturfotografie-Preis zeigt keine glatten Hochglanzbilder, sondern künstlerische Betrachtungsweisen unserer gebauten Umwelt. Diese vielschichtigen Fotoserien sind jetzt in der vhs-Fotogalerie Stuttgart zu sehen. Das diesjährige Thema des Wettbewerbs: „Provisorium“. „Das eröffnet ein weites Feld, um kritisch und konstruktiv über die Bedeutung von Architektur nachzudenken“, sagt Jurymitglied Oliver Mezger von „Architekturbild e.V.“
Eine fotografische Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt
Architekturfotografie finden normalerweise nur solche Menschen sensationell, die sich für Sichtbeton, Glasfassaden oder für das Aussehen von Fachwerkbauten erwärmen können. Auftraggeber solcher Fotos sind meist die Architekten, und die mögen ihre Bilder am liebsten klar, cool und aufgeräumt.
Es geht aber auch anders. Seit knapp 30 Jahren bereichert der Europäische Architektur-Fotografie-Preis das Genre, genauer gesagt: Er erweitert es um nicht auftragsgebundene, sondern frei-künstlerische Fotoprojekte.
„Es ist eine Auseinandersetzung mit der gebauten Umwelt, die natürlich auch kritische Blicke erlaubt, beziehungsweise auch zulassen muss“, erläutert Jurymitglied Oliver Mezger aus Heidelberg. Er war auch beteiligt an der Auswahl des diesjährigen Themas: „Provisorium“.
Provisorien werden oft durch Kompromisse geschaffen
Mezger ist selbst sowohl Architekt als auch Fotograf und weiß daher sehr gut, warum gerade dieses Thema ein besonderes Potential zum An-, aber auch zum Aufregen hat. Denn ein Provisorium ist seiner Natur nach immer Hohn und Spott für das Ideal des dauerhaften, gut geplanten Bauvorhabens.
Das Thema beschäftige Architekten oft mehr als ihnen lieb sei, sagt Mezger. Man wolle immer eine stimmige Lösung, die alles vereine. „Im wahren Leben habe ich oft Dinge, die nicht vereinbar sind, die Kompromisse oder eben auch aus Komplexität eine Lösung erfordern, die nicht von Dauer ist.“
Jede Menge Baustellen mit Schildern und Dixi-Klos
Entsprechend realitätsnah und unglamourös fällt dann auch die Motivwahl im diesjährigen Wettbewerb aus. Da gibt es Pappkartons als Wohnstätten von Obdachlosen, jede Menge Baustellen mitsamt Schildern, Umleitungen und den ikonischen Dixi-Klos, sowie bauliche Notlösungen nach Naturkatastrophen.
Aber es gibt auch lebendig-kreative Varianten wie die mit groben Strichen an Hauswände gepinselten Fussballtore, die öde Hinterhöfe zu Plätzen machen, an denen Kinder kicken können.
Der Sieger-Beitrag zeigt die Umleitung eines Radwegs
Solche Anarchie gefällt auch der diesjährigen Preisträgerin Nicole Keller aus Hamburg. Ihr kommt der Wettbewerb entgegen, weil dort gerade Positionen ihren Platz fänden, die mit der klassischen Architekturfotografie brechen: „Wenn ich auf Architekturfotografie in freien Projekten unterwegs bin, dann suche ich gerade nach diesen Brüchen und suche nach den Spuren des Menschlichen, suche nach Spuren der Geschichte des Gebäudes, die auch eine gewisse Patina mit sich bringen.“
Der preisgekrönte Beitrag, den Nicole Keller gemeinsam mit ihrem Partner Oliver Schumacher eingereicht hat, zeigt die Umleitung eines Radwegs, einen Bauzaun, einen mit Klebeband geflickten Sonnenschutz.
Wirklich komisch ist das Bild einer eleganten Saal-Bestuhlung, in deren fest montierten Reihen eine Sitzschale fehlt. Die Lücke ist mit einem ordinären, grellfarbigen Baustellen-Pylon ausgefüllt.
Beim Thema Bauen in der Zukunft passt das Provisorium gut rein
Solche Detail-Beobachtungen sind aber nur ein kleiner Teil dessen, was die Bilder dieses Wettbewerbs mit sich bringen, sagt Juror Oliver Mezger.
Vielmehr könne man mit solch einem Provisorium viele Gedanken und Interpretationen anstoßen: „Ich denke mal unter dem Thema Nachhaltigkeit - Wie wird Bauen in Zukunft aussehen? Da bin ich mit dem Thema Provisorium sehr gut aufgestellt, um all diese Gedanken auszulösen und Auseinandersetzung darüber zu starten. Ja, das ist auch ein Fazit, das wir ziehen konnten.“
Hausbesuch Architekturfotografie en miniature - Frank Kunert aus Boppard
Frank Kunert hat eine klassische Fotografenausbildung. Vor Jahren begann er damit, skurrile Miniaturmodelle zu bauen. Diese fotografiert er und ist mit seinen fotografischen Inszenierungen äußerst erfolgreich. Der mehrfach ausgezeichnete Künstler schafft mit seiner Kunst ein skurriles Paralleluniversum zum echten Leben.