Das Ende von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit

Wütender Film aus der Pariser Banlieue: „Die Unerwünschten“ von Ladj Ly

Stand
Autor/in
Julia Haungs
Julia Haungs, Autorin  und Redakteurin, SWR Kultur

Nach seinem gefeierten Sozialdrama „Les Misérables – Die Wütenden“ widmet sich der malisch-französische Regisseur Ladj Ly wieder den harten Verhältnissen in der Pariser Banlieue. An den Lebensumständen der Bewohner hat sich erschreckend wenig geändert, genauso wenig wie an ihrer Wut. „Die Unerwünschten“ ist politisch engagiertes Kino in der Form eines wuchtigen Thrillers.

Die Plakate für die Neugestaltung des Pariser Betonviertels versprechen Großes: „Neuanfang für die Siedlung – für ein besseres Zusammenleben“. Auf die Bewohner wirkt das allerdings wie Hohn.

Haby, eine junge sozial engagierte Französin mit malischen Wurzeln, hat die Umbaupläne gesehen und weiß, dass die Politik mit diesem Neuanfang vor allem die angestammten Großfamilien loswerden will.

Und mit den Großfamilien vermeintlich auch all die Probleme, die das Vorstadtviertel seit Jahren in Verruf bringen: der höchste Ausländeranteil in der Region und die hohe Kriminalitätsrate. Für Haby haben die Probleme andere Ursachen, wie sie dem Bürgermeister erklärt: die favelaartigen Wohnverhältnisse in den Sozialblocks zum Beispiel oder die schlechte Gesundheitsversorgung.

„Die Unerwünschten“ von Ladj Ly
Die junge Französin Haby (Anta Diaw), deren Familie aus Mali eingewandert ist, arbeitet in der Verwaltung ihrer Heimatstadt. Bild in Detailansicht öffnen
„Die Unerwünschten“ von Ladj Ly
Um eine weitere Eskalation durch die rücksichtslose Politik zu verhindern, lässt sich Haby zur Gegenkandidatin von Pierre (Alexis Manenti) bei der Bürgermeisterwahl aufstellen. Bild in Detailansicht öffnen
„Die Unerwünschten“ von Ladj Ly
Kann sie die verhärteten Fronten zwischen Franzosen mit und ohne Migrationsgeschichte aufweichen? Bild in Detailansicht öffnen

Apokalyptische Szenen einer Zwangsräumung

Als der Bürgermeister immer härtere Geschütze gegen die Bewohner auffährt, lässt sich Haby bei der anstehenden Wahl als Gegenkandidatin aufstellen. Doch bevor ihre Kampagne Fahrt aufnehmen kann, eskaliert die Gewalt im Viertel. Nach der kurzfristigen Zwangsräumung eines großen Wohnblocks stehen die Bewohner vor dem Nichts.

Die Kamera fängt apokalyptische Szenen ein, wie die Menschen in größter Not ihre Habseligkeiten aus dem Fenster schmeißen, um zumindest irgendwas zu retten.

Regisseur Ladj Ly kennt das Milieu, von dem er erzählt

Man merkt dem Film in jeder Einstellung an, dass Regisseur und Drehbuchautor Ladj Ly das Milieu der migrantisch geprägten Wohnblocks der Pariser Banlieue gut kennt. Er ist selbst in Montfermeil aufgewachsen – dort, wo es 2005 zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kam.

Noch stärker als „Les Misérables“ wird sein neuer Film „Die Unerwünschten“ befeuert von Lys Wut über die sozialen Ungerechtigkeiten und den strukturellen Rassismus des Staates, der alle Bewohner der Vorstadt als potentielle Unruhestifter wahrnimmt.

Reaktionäre Politiker am Rande des Gesetzes

Während es in „Les Misérables“ um Polizeigewalt ging, nimmt Ladj Ly dieses Mal die Politik in den Fokus. Er zeichnet das Bild einer Politikerkaste, die es offenbar gar nicht mehr als ihre Aufgabe begreift, die Probleme der Menschen zu lösen, sondern nur noch für Ruhe zu sorgen.

Um die Leute kleinzuhalten, bewegt sich der reaktionäre Bürgermeister hart am Rande des Gesetzes. Auf jeden Protest gegen die Ressentiment-geladenen Maßnahmen reagiert er mit neuen Vorschriften, Schikanen und einem großen Polizeiaufgebot.

Zum Beispiel, wenn die Jugendlichen des Viertels gegen die verhängte Ausgangssperre und das Versammlungsverbot für Junge demonstrieren.

„Die Unerwünschten“ von Ladj Ly
Übergangs-Bürgermeister Pierre nimmt den Brand einer illegalen Stadtteilküche zum Anlass, den lange schwelende Konflikte um die Sanierung eines Ortsteils zu eskalieren. Er lässt das Gebäude von der Polizei räumen, um die Chance für einen Abbruch zu nutzen.

Tiefe Entfremdung zwischen dem Staat und seinen vergessenen Bürgern

Die Verachtung, mit der die Politiker in diesem Film das migrantische Prekariat betrachten, zeigt eine tiefe Entfremdung zwischen dem Staat und seinen vergessenen Bürgern am Stadtrand.

Der dokumentarisch anmutende Film beobachtet genau, wie Armutsbetroffene zu Sündenböcken für alle gesellschaftlichen Fehlentwicklungen gemacht werden, oder wie die Politik christliche Flüchtlinge aus Syrien gegen lange eingesessene muslimische Migranten ausspielt.

Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sind in diesem Film am Ende

Man muss sich aktiv wehren, um sich aus seiner Ohnmacht zu befreien, lässt Ladj Ly Haby im Film sagen. Ob der Regisseur selbst noch daran glaubt, dass sich die Verhältnisse zum Besseren wenden lassen, scheint allerdings fraglich.

Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – die Werte, die der französische Staat eigentlich all seinen Bürgern verspricht – sie wirken in „Die Unerwünschten“ so abrissreif wie die Sozialbauten der Banlieue.

Trailer „Die Unerwünschten“, ab 6.3. im Kino

DIE UNERWÜNSCHTEN - LES INDÉSIRABLES Trailer German Deutsch OmU (2025)

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