Als Kind hatte Pamela Anderson eine Vorahnung: Fünfzig Jahre werde es brauchen, bis sie sich selbst erkennen könne. „Ganz merkwürdig“ sei dieses Gefühl gewesen, sagte sie kürzlich bei der Pressetour zu ihrem neuen Film. Aber nun, fünfzig Jahre später, sei es tatsächlich eingetreten, sie erkenne sich selbst.
Dieses von ihr prophezeite Selbst ist 57 Jahre alt, lebt wieder in der Heimat Kanada und hat zwei erwachsene Söhne. Es ist Schauspielerin, spielt die Hauptrolle in einem Independet-Film mit dem Titel „The Last Showgirl“. Es wird für Preise nominiert und erscheint bei den Verleihungen immer ungeschminkt.
Eine accomplished woman, möchte man sagen, aber das stimmt nicht ganz. Denn es war ein Leben voller Tiefen und Umwege, das Anderson dort hinbrachte, wo sie jetzt steht – selbstbewusst, ernst genommen, wertgeschätzt.
Pamela Anderson in „The Last Showgirl“





Symbol für Sex und für Amerika
Viele Versionen von sich hat sie bis hierhin durchlebt: Da war das Kind, das unter dem alkoholkranken Vater litt und das Mädchen, das missbraucht wurde. Die schüchterne Brünette, die in die Vereinigten Staaten ging, um sich neu zu erfinden.
Das Werbemodel, auf das der Playboy aufmerksam wurde, und dann das Playmate, das am häufigsten dessen Cover zierte (unter anderem seine letzte Nackt-Ausgabe). Da gab es die Rettungsschwimmerin C.J. Parker aus „Baywatch“, deren roter Badeanzug Anderson weltweit berühmt machte. Anderson wurde zum Symbol für Sex und für Amerika.
Und dann war da ein von ihr gestohlenes Sextape, und Anderson wurde vor allem eins: eine gegen ihren Willen Begaffte, und eine Verspottete. Das war 1995, sie war Mitte zwanzig und eine junge Mutter. Mit dem Tape etablierte sich die Internetpornografie und Anderson wurde zum „am häufigsten gedownloadeten Star aller Zeiten“.

Von „Pamela, a Love Story“ zu „The Last Showgirl“
Eine Serie brachte diese unschöne Episode in ihrem Leben vor wenigen Jahren wieder ins popkulturelle Bewusstsein. Deshalb entschied Anderson, selbst zu erzählen, wie sie das alles erlebt hatte.
Ihre Autobiografie und die Dokumentation „Pamela, a Love Story“, die sie mit ihren Söhnen produzierte, bieten eine Erkenntnis, die eigentlich keine sein sollte: Pamela Anderson, das ist kein Abziehbild, sondern ein Mensch.
Dass die Regisseurin Gia Coppola sie nun für die Rolle eines gealterten Showgirls besetzte, erscheint fast schicksalshaft. Coppola hatte die Doku gesehen und für sie war klar: Niemand anderes könnte die Rolle der Shelly spielen. Shelly ist der gealterte Star in „Le Razzle Dazzle“, der letzten Las-Vegas-Showgirl-Revue, die ausrangiert werden soll. Und mit ihr die Tänzerinnen.
Während sich die Jungen für die nun beliebten Akrobatik- und Erotikshows bewerben, wird Shelly mit ihren Lebensentscheidungen konfrontiert: War das Showgirl-Leben wirklich so glamourös? Hat die Gesellschaft noch Platz für sie?
Und wie kann sie die Beziehung zu ihrer Tochter Hannah (Billie Lourd) kitten, die als Kind darunter litt, dass ihre Mutter allabendlich halbnackt auf der Bühne tanzte? Ja, war es das alles wert?

Das mittlere Alter als prekärer Teil des Lebens
Der Film handelt so von dem für Frauen so prekären Teil des Lebens – den mittleren Jahren. Eine der jungen Tänzerinnen (Kiernan Shipka) schwärmt, sie stelle sich die Rente als schönen Teil des Lebens vor.
In Rente zu gehen, sei keine Option, mahnt ihre frühere Kollegin Annette (Jamie Lee Curtis), die nun als Serviererin im Kasino jobben muss. Und Shelly bleibt desillusioniert zurück: Sie seien doch einst wie Filmstars behandelt worden, „die Ikone: das amerikanische Showgirl“.
Die Parallele zwischen Shelly und Anderson wird damit fast ausbuchstabiert. An ihr eröffnet sich die Frage, wie selbstbestimmt eine Frau sein kann, die ihren Körper zur Kunst und zum Produkt zugleich gemacht hat; und die alles zu verlieren droht, sobald ihre jugendliche Schönheit schwindet.
Weibliche Bühnenstars: Industriearbeiter der Unterhaltungsbranche
Dass Frauen unter anderen Bedingungen in der Unterhaltungsbranche arbeiten, hält Shelly Produzenten Eddie (großartig: Dave Bautista) vor: Er müsse sich ja keine Sorgen machen, er könne hinter der Bühne der nächsten Show arbeiten. Weibliche Bühnenstars wie sie muten hingegen an wie der Industriearbeiter, die irgendwann einfach ausrangiert werden.

Der Film eröffnet damit einen empathischen Blick auf eine Welt, die mit Filmen wie Joe Eszterhas' „Showgirls“ nur allzu voyeuristisch dargestellt wurde. Der Kultfilm erschien 1995, im selben Jahr, in dem Andersons Sextape veröffentlicht wurde. Eine Zeit, in der ein postfeministisches Vakuum herrschte, in das auch andere berühmte Frauen gesogen wurden, und die zuletzt die Erzählungen über sich zurück gewannen.
Aktivistin und Filmliebhaberin
Anderson unterschied sich jedoch darin, dass sie sich andere Gefilde suchte: als Aktivistin, die mit linken Politikern und Whistleblowern befreundet ist, die sich nicht scheut, mit Philosophen zu diskutieren oder ihre Vorstellung von einer gerechteren Welt Diktatoren vorzutragen.
Als ihr die Rolle der Roxie Hart im Broadway-Stück „Chicago“ angeboten wurde, sagte sie mutig zu. Es war ihr erster Schritt zurück in die Unterhaltungsbranche und ein Weg, der sie auf die andere Seite des Spektrums brachte: Weg von der seichten Unterhaltung bis nun hin zur ernsthaften Filmkunst.
Bei der Pressetour zu „The Last Showgirl“ wurde man nicht müde zu betonen, wie belesen Anderson ist, und dass sie schon zu Playboy-Zeiten Tennessee Williams, Eugene O'Neill und Sam Shepard las; dass sie Wong Kar-Wai, Godard, Fellini und Bergman liebe, und natürlich Cassavetes, der sich auskennt mit Frauen in der Krise.

Hollywood liebt das Comeback
Dass Anderson nun die Chance für eine zweite, ernsthaftere Karriere bekommt, dürfte jedoch nicht nur an ihren bisher zu wenig beachteten Talente liegen. Denn Hollywood liebt das Comeback.
Zuletzt haben es Brendan Fraser und Demi Moore bekommen, Darsteller also, die ebenso für kommerzielle Filme zuständig waren, und wie Anderson durch ihr Altern in die Sphäre der Ernsthaftigkeit eintreten.
Für Frauen sind das jedoch oft Figuren, die mit dem Altern hadern. Das frühere Leben der Darstellenden wird so zum Subtext des Films – ein Mittel, das der Regisseur Quentin Tarantino gern ironisch nutzte, indem er gealterte Stars castete.
Eine universale weibliche Erfahrung
So resonieren auch die fiktiven und echten Geschichten von Shelly und Anderson als eine universale weibliche Erfahrung: Dem Wissen darum, zu mehr fähig zu sein, als von der Gesellschaft für sie vorbestimmt ist.
„The Last Showgirl“ bleibt in dieser Beobachtung und der Darstellung seiner Protagonistin aber skizzenhaft. Man merkt, dass das Drehbuch eigentlich für die Theaterbühne geschrieben wurde. Sie habe nichts mehr zu bieten, wird ein Castingdirector zu Shelly sagen und sie sich dagegen auflehnen. Wie es mit ihr weitergehen wird, traut sich der Film nicht zu formulieren.
Bei Anderson ist es anders. „Wenn ich ein anderes Leben gehabt hätte, hätte ich Shelly nicht so spielen können“, sagt sie. Es ist ihre Paraderolle. Und ganz sicher ein Anfang.
Wie sie andere Figuren, die ihr weniger nah sind, spielen wird, kann sie bald zeigen: Zwei weitere Filme – eine Komödie mit Liam Neeson und ein Drama unter der Regie von Karim Aïnouz – hat sie bereits abgedreht.