Körper als Kampfzone: Holzingers radikale Ästhetik
Florentina Holzinger hat sich als Choreografin und Performancekünstlerin nicht nur einen Namen in der Szene gemacht. Dank der skandalumwitterten Operninszenierung von „Sancta“ (2024) ist ihr Name auch Menschen ein Begriff, die nicht regelmäßig die Kulturspalten verfolgen.
Holzinger steht für extreme, körperlich herausfordernde Performances, die zwischen Hochleistungssport, Akrobatik und feministischer Körperkunst oszillieren. In explosiven Performances wie „Apollon“ (2017) oder „TANZ“ (2019) gehen sie und ihre Tänzerinnen bis an die Belastungsgrenze und darüber hinaus.

Mit „Sancta“ trieb sie diese Konfrontation mit Schmerz und Ekstase noch weiter. Die Inszenierung der feministischen Oper in Stuttgart im Spannungsfeld Frau, Sex und katholische Kirche führte bei manchen Menschen im Publikum sogar zum Erbrechen – zu explizit war die Darstellung von Sex und Gewalt.
Nun wagt die Österreicherin mit „Mond“ ihr Debüt als Filmschauspielerin. Wie verändert sich ihre Kunstform, wenn sie nicht mehr live auf der Bühne, sondern gefiltert durch die Kamera stattfindet?
„Mond“: Ein Film über Körper, Kontrolle und Käfige
In „Mond“ spielt Holzinger die ehemalige Mixed-Martial-Arts-Kämpferin Sarah. Nach einer brutalen Niederlage wird die gescheiterte Sportlerin als Trainerin für drei wohlhabende Schwestern in Jordanien engagiert. Doch statt körperlicher Selbstoptimierung oder Schönheitsidealen streben die drei Frauen nach Freiheit.

Die kurdisch-österreichische Regisseurin Kurdwin Ayub verwischt bewusst die Grenzen zwischen sozialem Drama, Psychothriller und Gesellschaftsanalyse. Der Film stellt verschiedene Formen der Gefangenschaft gegenüber.
Während Sarah an den Käfig des Fitness- und Körperkults gefesselt ist, leben die Schwestern in einem goldenen Käfig, der durch patriarchale Kontrolle, Klassenunterschiede und gesellschaftliche Erwartungen definiert wird.
Die Gewalt, die Holzinger in ihren Theaterstücken als rohe, unmittelbare Kraft einsetzt, wird hier subtiler, aber nicht weniger drastisch verhandelt. Im Film zeigt sie sich sowohl als strukturelle Unterdrückung als auch als selbstgewählte Form der Disziplinierung.
Vom Live-Risiko zur filmischen Inszenierung
Holzingers Theaterarbeiten leben von der physischen Unmittelbarkeit. Ihre Performerinnen hängen an Seilen, stechen sich Nadeln in die Haut oder setzen sich bewusst Risiken aus. Das Publikum wird dabei Zeuge eines realen, nicht geskripteten Kontrollverlusts.
Im Kino gibt es jedoch eine andere Logik: Die Kamera filtert, inszeniert, wählt aus, was das Publikum zu sehen bekommt.

In „Mond“ wird dieser Kontrast deutlich: Während Sarah anfangs als körperlich dominante Figur auftritt, verliert sie nach und nach ihre Kontrolle – nicht nur über die Schwestern, sondern auch über sich selbst. Ihre innere Zerrissenheit spiegelt sich in der Inszenierung wider.
Der Film spielt mit den Erzählkonstrukten westlicher Perspektiven, ohne einfache Antworten zu geben. Holzinger verkörpert diese Ambivalenz mit einer physischen Präsenz, die nah an ihre Bühnenperformances heranreicht, aber durch die filmische Erzählweise eine neue Vielschichtigkeit erhält.
Holzingers Körperkunst im Kontext feministischer Film- und Performancegeschichte
Holzinger reiht sich in eine lange Linie feministischer Performance-Künstlerinnen ein. Valie Export machte in den 1960ern mit radikalen Körper-Performances auf patriarchale Strukturen aufmerksam, während Marina Abramović durch extreme Selbstinszenierungen den menschlichen Körper zur ultimativen Ausdrucksform machte.

Holzinger knüpft an diese Tradition an, indem sie den weiblichen Körper auch in „Mond“ als Kampfzone begreift, die es zu befreien gilt. Dabei verschwimmen im Thriller die Grenzen zwischen Disziplin, Macht und Unterwerfung. Auch das ist ein zentrales Thema in Holzingers bisherigen Arbeiten.
Fazit: Ein neues Kapitel oder nur eine andere Bühne?
Holzinger hat die Grenzen des performativen Theaters sicherlich noch nicht ausgereizt. Gleichzeitig zeigt ihr Kinodebüt, dass ihre Themen – Körper, Kontrolle, Gewalt – auch im Film kraftvoll funktionieren, wenn auch auf andere Weise.
Während in ihren Bühnenarbeiten die Unmittelbarkeit und das Risiko den Reiz ausmachen, entfaltet „Mond“ eine kühlere, fast analytische Intensität.