In seinem dritten Auftragsstück „Die Erfindung“ für das Schauspiel Stuttgart beschäftigt sich der renommierte österreichische Autor Clemens J. Setz mit den Abgründen des Darknets. Die trashige Farce beschäftigt sich gekonnt mit der Verrohung der Gesellschaft im Zeitalter des Internets.
Nächtliche Mordfantasien
Geschrei und Streit aus der Wohnung über ihnen hält ein gut situiertes Ehepaar im mittleren Alter jede Nacht wach. Die beiden überlegen sich im Bett, ob die streitenden Eltern von oben auch ihre Kinder schlagen und wie man sie zum Schweigen bringen könnte.
Sie diskutieren im Spaß unterschiedliche Mordmethoden: Motorsäge, Anthrax oder Giftgas – nein, zu „nazi“, findet die Frau.

Folter im Darknet
Also schlägt ihr Mann für die lästigen Nachbarn eine Foltermethode aus einem österreichischen Gruselroman vor, den er gerade liest: „Wormed“ heißt das Buch. Darin verkauft ein Mann gekidnappte Frauen, denen er Arme und Beine abgeschnitten hat, in einem Versandhandel im Darknet. Frauen, verwandelt in wurmartige Wesen.
Eine Fiktion, die zu drastisch und medizinisch sowieso komplett unmöglich ist, um wahr zu sein, finden die beiden. Aus ihrer Wohlstandslangeweile heraus beschließen sie aber genau so eine Fake-Seite im Darknet zu platzieren.

Auch wenn sie mit diesem verstörenden Fake die Frauen wieder einmal zu den Opfern der patriarchalen, frauenhassenden Internetwelt machen. Ein Freund, der ihnen helfen soll, ist irritiert.
Morbider Humor, der verstört
„Die Erfindung“ in der Regie von Lukas Holzhausen erzählt überspitzt und mit sehr viel morbidem und trashigem Humor, welche Verwirrungen und Abgründe sich aus einer fiktionalen grausamen Idee ergeben können, wenn sie im Internet landet.
Grundsätzlich könnten solche verstörenden Geschichten nur von österreichischen Autoren stammen, heißt es immer wieder. Dieser Running Gag erzeugt einige Lacher im Publikum. Vor allem weil der Ehemann aussieht wie das Alter Ego von Clemens J. Setz selbst – mit schwarzem langem Bart und Brille.

Immer wieder taucht das Motiv des Wurms auf
Im surrealistisch anmutenden plüschig-lindgrünen Schlafzimmer mit riesigem Aquarium im Hintergrund taucht immer wieder das Motiv des Wurms auf. Wenn etwa die Ehefrau zum Beispiel lustvoll an Würmer erinnernde Spagetti isst. Oder der Mann versucht auf tölpelhafte Weise in Hosenbeine zu steigen, die an lebendige Riesenwürmer erinnern.
Als erste Reaktionen aus dem Darknet eintreffen, ist das Paar erstaunt. Manche bezeichnen die Fake-Seite als geschmacklos und widerwärtig. Andere halten sie für echt und geben direkt Bestellungen für „gewurmte“ Frauen auf.
Für einen Teil der Zuschauer schwer erträglich
Angesichts der gewalttätigen Fantasien offenbaren sich unbekannte Abgründe der Beziehung. Das Paar zerfleischt sich zudem, weil es selbst Fake und Wirklichkeit stark miteinander vermengt.
So macht die Inszenierung die allgegenwärtige Verrohung durch das Internet mehr als deutlich, genial gespielt vom dreiköpfigen Ensemble. Trotzdem dürfte „Die Erfindung“ für einen Teil der Zuschauer eine nur schwer erträgliche Inszenierung sein.
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