Bühne

Strawinskys Oper „The Rake’s Progress“ im Theater Freiburg: Ein brillantes Opernabenteuer

Stand
Autor/in
Bernd Künzig

Nur eine veritable Oper hat Igor Strawinsky komponiert. „The Rake’s Progress“ ist die Geschichte über Entwicklung und Niedergang eines sogenannten Wüstlings. Die Dichter Wystan Hugh Auden und Chester Kallman haben daraus ein raffiniertes Spiel um einen Pakt mit dem Teufel gemacht. Strawinsky komponierte eine Art Oper über Oper im scheinbar neoklassizistischen Stil, mit zahlreichen Querverweisen auf die Operngeschichte.

"The Rake’s Progress" im Theater Freiburg
Michael Borth, Anja Jung, Junbum Lee, Opernchor, Statisterie des Theater Freiburg

Eine Art musikalisches Endspiel

In seiner einzig veritablen Oper „The Rake’s Progress“ betreibt Igor Strawinksy ein fast teuflisches Spiel mit der Geschichte des Musiktheaters. Diese Geschichte von Entwicklung und Niedergang eines Wüstlings beginnt mit einer Fanfare im Stil der frühen Oper Monteverdis, wühlt sich lustvoll durch Händel, Mozart, Verdi und Puccini und würzt das alles mit schräger Harmonik und vertrackter Rhythmik.

In der Tat eine brillante Collage und eine Art musikalisches Endspiel, an das der Komponist stilistisch nie wieder anknüpfen sollte. Und in erzählerischer Hinsicht treibt hier der Teufel sein Unwesen, wenn Nick Shadow das brave Landei Tom Rakewell seiner wahren Liebe Anne Trulove entfremdet, ihn ins Bordell treibt und die bärtige Baba heiraten lässt.

Schließlich wird eine betrügerische Wundermaschine vertrieben und führt in den Bankrott. Nur die wahre Treue seiner Anne rettet ihn kurzfristig vor der Höllenfahrt. Am Ende schlägt der teuflische Nick Tom mit Wahnsinn und er endet im Irrenhaus. 

"The Rake’s Progress" im Theater Freiburg
Jakob Kunath, Cassandra Wright, Junbum Lee

Die Geschichte von Tom im Wunderland

Als surreales Variéte inszeniert Eva-Maria Höckmayr am Theater Freiburg diese Tour de Force einer Oper über Oper. Es ist die Geschichte von Tom im Wunderland. Hinter dem Vorhang eines aufgerissenen Höllenschlunds mit vom Bühnenportal grinsenden Teufelsaugen, öffnet sich tatsächlich der tunnelartige Kaninchenbau für eine Reise in eine Show der surrealen Abgründe.

Wie Twiddledee und Twiddledum in Lewis Carolls „Wunderland“-Begehung wird Nick Shadow gleich von zwei Conférencier-Teufeln in Frack und Zylinder verdoppelt. Der eigenwillige Eingriff in Strawinskys Besetzung ist aber inszenatorisch und musikalisch gelungen. Denn Michael Borth und Jakob Kunath sind sowohl darstellerisch als auch stimmlich ein perfekt aufeinander eingestimmtes Teufelspaar. Sie können toll singen, spielen und tanzen.

"The Rake’s Progress" im Theater Freiburg
Junbum Lee, Jakob Kunath, Michael Borth

Ein lustvolles Spiel mit mehrdeutigen Anspielungen für den Verstand

Auch die Bordellvorsteherin Mother Goose, die Gans also, und die bärtige Baba werden von Anja Jung als Doppelrolle verkörpert. Auktionator Sellem tritt mit Katzenschwanz in Erscheinung. So werden all die raffinierten Vielschichtigkeiten im brillanten Libretto der Oper als Spiel im Spiel aufgefasst, das dem boshaft Surrealen der merkwürdig animalischen Welt von „Alice im Wunderland“ durchaus nahesteht, so verblüffend das zunächst erscheinen mag.

Wie Lewis Carolls berühmter Mädchenroman ist auch Strawinskys Drama des verführten Jungen ein lustvolles Spiel mit mehrdeutigen Anspielungen für den Verstand. Das macht Spaß, ohne dass man den tieferen Sinn erfassen müsste.

Jumbum Lee kann sie alle verkörpern: die vielen Facetten des am Ende wahnsinnigen Tom Rakewell

Und es klingt wunderbar, wenn es von einem so homogenen Ensemble wie in Freiburg gesungen wird. Cassandra Wright gibt die Anne so schön und federleicht wie eine Mozart-Partie, obwohl es doch so schwer ist. Der Sellem von Roberto Gionfriddo ist ein tierisches Bravourstück für sich. Und Jumbum Lee kann sie alle verkörpern: den naiven, abgefeimten, genervten, zynischen, verzweifelten und am Ende wahnsinnigen Tom Rakewell.

"The Rake’s Progress" im Theater Freiburg
Junbum Lee, Statisterie des Theater Freiburg

Der Opernchor ist nicht nur vokal leistungsstark, sondern auch wunderbar variétehaft choreografiert. Das Philharmonische Orchester meistert Strawinskys anspruchsvolle und fordernde Partitur durchaus. Ektoras Tartanis koordiniert gut, wenngleich es manchmal auch klappert. Was etwas fehlt, ist der trocken zupackende Biss, die rhythmische Schärfe und das harmonisch Schräge, jene Stilmittel, die Strawinsky im Sinne hatte, um die Kulinarik dieser Oper über Oper zu einem diabolisch lustvollen Spiel zu machen.

Alles in allem aber ein brillantes und nie langweiliges Opernabenteuer.

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