Neuinszenierung

Spielernaturen auf dem Mars: Axel Ranisch inszeniert Prokofjews Oper „Der Spieler“

Stand
Das Interview führte
Doris Maull
Interview mit
Bernd Künzig
Autor/in
Bernd Künzig
Onlinefassung
Dominic Konrad

Sergej Prokofjews Oper nach Dostojewskis Roman ist aktuell wie nie zuvor. An der Staatsoper Stuttgart inszeniert Filmregisseur und Opernliebhaber Axel Ranisch das rasante Werk über die Verheerungen des Geldes. Der designiere Generalmusikdirektor Nicholas Carter dirigiert, die gefragten Sopranistinnen Aušrinė Stundytė und Véronique Gens gastieren in der Aufführung.

„Mission to Mars“ heißt das Programm von Elon Musk. Ein Milliardär und Superkapitalist kolonisiert unseren Nachbarplaneten. Was dabei herauskommen könnte: ein Las Vegas in der roten Wüste.

Aus diesem Geiste inszeniert Axel Ranisch Sergej Prokofjews Dostojewski-Oper „Der Spieler“ an der Staatsoper Stuttgart. Da hat sich ein exhibitionistisches Personal mit sado-masochistischen Neigungen und viel Lust am Fleischzeigen in der großen, auch landschaftlichen Langeweile zusammengefunden.

SWR Kultur auf Probenbesuch

Prokofjews Oper als Panoptikum der Außerirdischen

Die Bühne ist hier der Laufsteg für eine Modenschau der letzten Punkwelle, mit der sich die Kostümbildnerinnen Claudia Irro und Bettina Werner ausgetobt haben. Da wirken die Stewardessen des Extraterrestrischen mit ihren Knautschkissenköpfen noch am gewöhnlichsten. Nur einer gehört nicht zu ihnen: Titelheld Alexej.

Ein Hauslehrer wie noch bei Dostojewski ist er nicht gerade. Eher ein handfester Hausmeistertyp, der dieses Panoptikum des Außerirdischen mit entsprechendem Zynismus kommentiert. Und eine Spielernatur ist er schon gar nicht.

Dass er dann alles aufs Ganze setzt, liegt an dem Generalsmündel Polina. In sie ist er verschossen und sie will durch ihn diesem Panoptikum der sinnlosen Geldgier entkommen.

Daniel Brenna (Alexej) und Aušrine Stundyte (Polina)
Daniel Brenna und Aušrinė Stundytė singen die Hauptrollen des Alexej und der Polina. Bild in Detailansicht öffnen
Stine Marie Fischer (Mlle. Blanche), Goran Jurić (General), Elmar Gilbertsson (Marquis)
Regisseur Axel Ranisch versetzt die Handlung in eine exzentrisch-hedonistische Mars-Landschaft. Im Bild: Stine Marie Fischer, Goran Jurić, Elmar Gilbertsson. Bild in Detailansicht öffnen
Stine Marie Fischer (Mlle. Blanche), Goran Jurić (General)
Für die exzentrischen Kostüme zeichnen Claudia Irro und Bettina Werner verantwortlich. Bild in Detailansicht öffnen
Aušrine Stundyte (Polina)
Spätestens seit ihrem gefeierten Salzburg-Debut 2020 gilt Aušrinė Stundytė als eine der großen Dramatikerinnen der aktuellen Opernwelt. Bild in Detailansicht öffnen

Gescheiterte Existenten im Roulette-Raumschiff

Die ungesunde Atmosphäre macht schon der Bühnenhintergrund von Saskia Wunsch mit den Videoprojektionen von Philipp Contag-Lada klar. Da geht immer wieder ein Mond auf, in nichtgeheurem Grün wabernd und mit geschwürartig schrundiger Oberfläche. In diese kranke Atmosphäre platzt dann die mopsfidele Babulenka hinein, die alle bereits für ablebend halten.

Alle wollen an ihr Erbe, doch so quicklebendig wie sie aus dem Jungbrunnen auftaucht, wird daraus nichts. Ihr Diener ist ein Gigolo-Typ, der wie auch der effeminierte Marquis viel Haut zeigt.

Dieses körperliche Aphrodisiakum nutzt aber nichts, denn in der Welt des unterirdischen Roulette-Raumschiffs verspielt die Babulenka ihr Vermögen. Sie taucht als gebrochene Frau auf, die in der Sänfte zur Rakete getragen werden muss, mit der sie der vergifteten Atmosphäre entflieht.

Goran Jurić (General)
Der General (Goran Jurić), umgeben von ihn beeinflussenden Marsianern.

Einfallsreich, aber mitunter statisch inszeniert

Nach der Pause findet man sich im bunkerartigen Raumschiff-Inneren wieder zum Roulette zusammen. Der Höhepunkt der Oper ist auch dynamisch einfallsreich inszeniert. Wie Kugeln sausen die Spieler über das Rouletterad und wenn am Ende Alexej die Bank sprengt, regnet es das Papiergeld von der Decke, das er sich gierig unters Hemd steckt.

Nur nützt ihm der Gewinn wenig. Denn nun weist ihn Polina zurück, weil sie nicht käuflich sein will und sich auch nicht vom Einzigen, für den sie Gefühle hat, aus der Anhängigkeit herauskaufen lassen will. So bleibt der enttäuschte Alexej allein zurück, endgültig gefangen in diesem Bunker, verloren als Süchtiger ans Roulette und das Geld.

Sicher ist das alles keine Komödie und komödiantisch ist es auch nicht unbedingt inszeniert. Allerdings kommt das doch recht handlungsarme, mehr situationistische Konversationsdrama doch recht statisch daher. Da wird viel an der Rampe und ins Publikum gesungen, anstatt mit- und zueinander.

Handwerklich fragwürdig sind auch die zahlreichen Abgänge vom Proszenium, um wenig später aus der hinteren Kulisse aufzutreten, als würden die Figuren auf der Seitenbühne kurz lustwandeln.

Daniel Brenna (Alexej), Aušrine Stundyte (Polina)
Ein Happy-End gibt es zum Schluss für den Hauslehrer Alexej (Daniel Brenna) und seine Polina (Aušrinė Stundytė) nicht.

Daniel Brenna und Aušrinė Stundytė kommen spieltechnisch nicht zusammen

Das Verliebtsein der Polina ist bei der stimmdramatisch zugespitzten Aušrinė Stundytė eher ein hilfloses Flehen um Zuneigung, dem Daniel Brenna als Alexej mit vergleichbarer Hilflosigkeit begegnet.

Stimmlich ist er ein heroischer Siegfriedtyp, spieltechnisch einer, der sich in Stück und Rolle verirrt hat. Zusammen kommen die beiden am Ende des Stücks nicht, in Axel Ranischs Regie aber auch ansonsten recht selten und die letzte Ohrfeige der Polina ist eine recht distanzierte Aktion.

Véronique Gens überzeugt als Babulenka

Am besten passt noch der vielseitige Charaktertenor von Elmar Gilbertsson als Marquis ins Konzept des exzentrischen Ennui. Die langen Strumpfhosenbeine weiß er so effizient einzusetzen wie das wirbelnde Perlenhandtäschchen.

Véronique Gens singt die Babulenka schön und entgeht damit dem Klischee einer keifenden Alten. Vielleicht die einzige Figur, bei der man sagt, es ist schade um diese Menschen. Alle anderen bleiben ohnehin besser in dieser heruntergekommenen Einöde und ihrem gestrandeten Raumschiff stecken. 

Catriona Smith (Blasse Dame), Daniel Brenna (Alexej), Staatsopernchor Stuttgart
Bildgewaltig inszeniert Axel Ranisch die Roulette-Szenen. Im Bild: Catriona Smith, Daniel Brenna und der Staatsopernchor Stuttgart.

Nicholas Carter bremst im Orchestergraben

Mit den vielen Kleinrollen der Spieler und Croupiers beim Roulette und dem Staatsopernchor wird es recht laut, wiewohl es Nicholas Carter am Pult im Graben ohnehin ordentlich krachen lässt. Das tiefe Tubenblech röhrt drachenartig, als gelte es zu demonstrieren, wie sehr der junge Prokofjew von Wagners Instrumentationskünsten angetan war.

Die Oper ist eine hochdynamische, sehr temporeiche Angelegenheit, was einiges an russischer Sprachgelenkigkeit abverlangt. Und da tritt Nicholas Carter doch sehr auf die Bremse, als gelte es das Rollen der Kugeln aufzuhalten. Viele Haltepunkte wirken da wie unmotiviertes Ausbremsen und bringen auch die eine oder andere Koordinationsschwäche mit sich.

Axel Ranisch legt unentschlossene Neuproduktion vor

Das Aggressionspotential der Oper verpufft hier auch ziemlich. Nach dem eher dünnen „Idomeneo“ und einem ratlos zurücklassenden „Casanova“, ist „Der Spieler“ an der Staatsoper Stuttgart eine eher unentschlossen wirkende Neuproduktion.

Man weiß nicht so recht, wo es hingehen soll, szenisch wie musikalisch. Das ist schade, bei all dem Potential, das sich eigentlich hier eingefunden hat.

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