Premiere an der Staatsoper

„Otello“ in der Regie von Silvia Costa in Stuttgart: Schöne Bilder in statischer Regie

Stand

Giuseppe Verdis spätes Meisterwerk über den afrikanischen Helden Otello, der durch eine rassistische Intrige Jagos zum Eifersuchtsmord an seiner Frau Desdemona getrieben wird, ist heute unter postkolonialen Perspektiven nicht unumstritten. Die Staatsoper in Stuttgart will Verdis Meisterwerk nicht dekonstruieren, es auch nicht postkolonial verdammen, sondern es kritisch befragen und zugleich als großes Werk retten.

Ein weißer Kasten mit schwarz-weißer Farb-Symbolik

Wozu dient ein „White Cube“? Um Kunst zu zeigen und zu machen. Danach verfährt Silvia Costa im eigenen Bühnenbild ihrer Inszenierung von Giuseppe Verdis „Otello“ an der Staatsoper Stuttgart. Ein weißer, zum Zuschauerraum hin offener Kasten, hinten begrenzt durch verschiebbare Lichtwände und -türen, an der Decke ein langer Spalt und ein offener Quader zum Himmel.

Alles andere, was darin stattfindet ist in Weiß und Schwarz gehalten. Das mag noch an den Konflikt des Afrikaners Otello mit einer rassistischen, weißen Gesellschaft erinnern, jener Konflikt, der zum Minderwertigkeitskomplex des Militärführers führt und den Jago für seine Eifersuchtsintrige nutzt, um den Titelhelden zu vernichten, weil der ihn angeblich übergangen hat. Eine solche Farb-Symbolik kann man herauslesen, muss es aber auch nicht. Denn es sieht einfach auch schön aus.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Schöne Bühnenbilder in der Stuttgarter Inszenierung von Verdis Oper Otello: Esther Dierkes (Desdemona), Staatsopernchor Stuttgart, Kinderchor der Staatsoper Stuttgart

Jago kehrt den Schöpfungsakt um

Gleich zu Beginn gibt sich der fulminante Sturmchor recht skulptural, neigt sich mit dem Sturmwind mal nach rechts, mal nach links, schwenkt Fahnen zum Schiff Otellos und führt erhabene Gesten aus. All das dient einem rituellen Theater, das hier im teils feierlichen Schreiten der Auf- und Abgänge zelebriert wird.

Der Nihilist Jago, der nur an die Destruktion glaubt, kehrt künstlerisch den Schöpfungsakt um. Im zweiten Akt sitzt er gar an einer Töpferscheibe und zerknetet die vor ihm stehenden Formen zu Lehmklumpen des Abfalls, die er wie ein wütender Gott mit seinem Credo des Nihilismus vom Teller fegt.

Genauso verfährt er mit Otello. Das ist ein durchaus schönes Bild. Das andere: wenn Otello sein Haupt auf Jagos Schenkel bettet und er dem Liegenden seinen Schlaf der Lügen über Cassios angebliches Verhältnis mit Desdemona einflüstert.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Otello bettet sein Haupt auf Jagos Schenkel: Daniel Mirosław (Jago), Marco Berti (Otello)

Zuviel des Guten, Schönen, Wahren

Anderes ist dann hart am katholischen Kitsch gebaut, wenn der Unschuldsengel Desdemona mit einem Chor von Nonnen und Messdienerinnen als Schutzmantelmadonna auftritt, unter deren blumigen Faltenwurf sich die Kleinen hervorräkeln.

Oder wenn Otello zum abgrundtief finsteren Kontrabasssolo zum Mord ins Schlafgemach tritt und dann die kopfüberhängenden Kreuze herabschweben, während der mittlerweile zu einem Riesen herangewachsene Jago zusieht. Da wird es dann doch Zuviel des Guten Schönen Wahren.

Keine psychologische Ausdeutung der Oper

Eine psychologische Ausdeutung ist diese Inszenierung jedenfalls nicht. Wenn Desdemona und Otello die Performance eines gesichtslosen Schattenpaar zugesellt bekommen, dann ist das poetisch, isoliert aber die Psychologie der Individuen auf den beiden Bühnenseiten, wo sie mehr mit ihren Schatten agieren als miteinander.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Ein Schattenpaar steht zwischen Otello und Desdemona: Marco Berti (Otello), Esther Dierkes (Desdemona)

In gewisser Weise widerspricht das auch dem musikalisch eng verwobenen Geflecht in Verdis durchkomponierter, fast schon sinfonischer Partitur, vor allem aber ihrem tiefgründigen psychologischen Realismus.

Der Chor ist zur oratorischen Bildwand reduziert, das große Concertato des dritten Akts findet vor ihr mit nahezu statischen Solisten an der Rampe statt. Ein illustriertes Konzert. Dass die venezianische Gesellschaft in schwarzen Adelskostümen, Rundhut, venezianischem Dreispitz und weißen Masken in Erscheinung tritt, ist mehr touristische Folklore als sinnhafte Politik der Zypern kolonisierenden Republik.

Regiehandschrift Costas erinnert an Romeo Castellucci und Robert Wilson

Schließlich ahnt man, woher die Regiehandschrift von Silvia Costa rührt: Aus dem Ritualtheater von Romeo Castellucci, dessen künstlerische Mitarbeiterin und Darstellerin sie war, und dem zeitenrückten Gestentheater eines Robert Wilson. Die Manierismen werden manieriert und damit auch kunstgewerblich. Eine eigene, interpretierende Handschrift ist das kaum.

Von den Videoinserts von John Akomfrah vor und zwischen den Akten muss das nicht gesagt werden. Die Videotriptychen zeigen einen Afrikaner an der Küste, suchend, wartend. Dann eine im steinigen Hinterland auftretende weiße Frau.

Eine absichtsvoll verrätselte Beziehungsgeschichte, die dann mit deutlichen Hinweisen auf den Rassismus in Amerika, auf die „Black Lives Matter“-Bewegung und George Floyd zugespitzt wird. Mit Otello mag das etwas zu tun haben, aber zur Inszenierung von Silvia Costa verhält sich diese applizierte Videoinstallation eher beliebig.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Esther Dierkes (Desdemona), Marco Berti (Otello)

Desdemona endet als „living singing Sculpture“

Das fällt nun auch bei der musikalischen Umsetzung ins Gewicht. Verdis später psychologischer Expressionismus verhält sich zur bildhaften Statik dieser Inszenierung wie ein Kontrapunkt. Marco Berti singt die rasend schwere Titelpartie ehrenhaft, mit messerscharfer Stimme, die Höhe treibt ihn an die Grenze. Die Desdemona von Esther Dierkes steigert sich zunehmend. Der lyrische Schmelz ist vielleicht nicht ihre Sache, aber das Lied von der Weide und das Ave Maria singt sie betörend.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Esther Dierkes (Desdemona) und der Kinderchor der Staatsoper Stuttgart

Geradezu nichtssagend ist dann ihr Ende, wenn sie sich vor dem Souffleurkasten einfach das überdimensionale Taschentuch, das Objekt der imaginierten Eifersucht Otellos um das Haupt legen und dergestalt bis zum Ende verharren muss, anstatt von Otello mit dem Kissen erstickt zu werden. Der schnürt lieber das Bett-Accessoire zum Paket zusammen. Da wird sie dann endgültig zur „living, singing sculpture“ und Otello muss es ihr bei seinem Selbstmord gleichtun.

Eine Entdeckung: Daniel Mirosloaw als Jago

Daniel Mirosloaw als Jago wächst in der Inszenierung mit zunehmendem Kothurn unter der weiten Schlaghose zu einem Riesen. Stimmlich ist er ohnehin ein solcher. Eine enorme, finstere Stimme und auch darstellerisch ist dieser junge Sänger eine echte Entdeckung. Alle anderen Rollen sind solide besetzt.

Premiere "Otello" an der Staatsoper Stuttgart
Eine Entdeckung: Daniel Mirosław als zum Riesen gewachsener Jago

Mit seinem „Otello“-Debüt leuchtet Stefano Montanari in alle Ecken von Verdis subtiler Instrumentation des Herben. Das ist perfekt koordiniert und temposicher. Das Staatsorchester folgt blindlings mit Spiellust, der Staatsopernchor mit entsprechender Genauigkeit.

Der Stuttgarter „Otello“ lässt Verdis Meisterwerk hören. Warum es eines ist, bleibt eher im Ermessen der Beiwohnenden. Da ist ein vermeintlich kritischer, im Ästhetizismus verharrender Regie-Diskurs auch nicht hilfreich. 

Hausbesuch Volle Konzentration: Cornelius Feil setzt an der Stuttgarter Oper die Übertitel um

Seit 30 Jahren sorgt der professionelle Sänger und Videotechniker dafür, dass während der Oper die Texte der Stücke am Bühnenportal erscheinen. „Die Übertitel und ich – wir sind eine Symbiose“, sagt Cornelius Feil, der jede Vorstellung live begleitet und die Texte, die genau auf die Partituren zugeschnitten sind, zuspielt. Echte Handarbeit, die viel Konzentration, Genauigkeit und Einfühlungsvermögen erfordert.

SWR Kultur am Samstagnachmittag SWR Kultur

Ulm

Vergessene Oper über Franz von Assisi Nach 86 Jahren uraufgeführt: „Le petit pauvre d’Assise“ in Ulm

Schon 2022 brachte das Theater Ulm eine Uraufführung des 1939 verstorbenen Komponisten Charles Tournemire auf die Bühne. Nun folgt dessen letzte Oper über den heiligen Franziskus.

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

Überfrachtetes Zeigefinger-Theater Offenbachs Operette „Le Roi Carotte“ in Freiburg: „Ein verschenkter Abend“

Das Theaters Freiburg hat Jacques Offenbachs „Le Roi Carotte“ – eine fantastische Politsatire über ein Wurzelgemüse, das als rote Rübe ein Tyrannenregime errichtet – neu inszeniert.

SWR Kultur am Morgen SWR Kultur

Stand
Das Interview führte
Frauke Oppenberg
Frauke Oppenberg
Interview mit
Bernd Künzig