Der jüdische Komponist Franz Schreker war am Anfang des 20. Jahrhunderts der erfolgreichste Opernkomponist Deutschlands. Doch die Nationalsozialisten setzten seiner Karriere ein Ende. Seiner letzten, 1932 uraufgeführten Zauberoper „Der Schmied von Gent“ war kein Erfolg mehr beschieden. In Mannheim kann sie nun wiederentdeckt werden.
Gent liegt in belgisch Kongo
Für seine letzte Oper „Der Schmied von Gent“ verwendet Franz Schreker erstmals eine literarische Vorlage: ein Märchen des belgischen Autoren Charles de Coster.
Diese Geschichte über einen listenreichen Handwerker im Zeitalter der spanischen Unterdrückung kann man als Anspielung auf die Lage des jüdischen Komponisten vor der wachsenden Gefahr der nationalsozialistischen Diktatur verstehen.
Regisseur Ersan Mondtag geht mit seiner Inszenierung am Nationaltheater Mannheim einen Schritt weiter in Richtung zeithistorischer Zusammenhänge. Für ihn ist dieses Gent zum Ort des mörderischen Kolonialismus im Kongo geworden. Das macht schon die jeden Akt einleitende Geräuschkulisse einer afrikanischen Nacht klar.
Trailer zu „Der Schmied von Gent“
Ein Pakt mit den bösen Mächten
Auf der von Mondtag gestalteten Drehbühne ist die Schmiede ein importiertes Butzenscheibenbelgien mit Türmchen, Erker und Balkon, dahinter eine Höllenfassade mit einer riesigen Teufelsmaske.

Als die Herren seine Schmiede zumachen, weil er mit den Unterdrückten sympathisiert, schließt der Schmied Smee einen Pakt mit den bösen Mächten und wird reich. Seine Schuld will er nicht begleichen, trickst die Teufel aus und gelangt am Ende mit der Hilfe des heiligen Josefs und seiner eigenen Frau ins Paradies.
Belgische Kolonialgeschichte trifft auf Afrika
Den märchenhaften Kontext überschreibt Mondtag mit der belgischen Kolonialgeschichte. Die originellen Kostüme von Josa Marx sind in afrikanischer Farbigkeit gestaltet. Es gibt Feldgrau für die Schmiedegesellen und ornamentale Exotik für das Volk.
Smee stolziert in einer Paradeuniform umher und macht Geschäfte mit seinen Gegnern, die die Gewehre ihres Befreiungskampfes in die Schmiede schleppen und lässt sich auf den Thronsessel setzen.

Als er nach langen Jahren stirbt, hat er sich mit weißem Bart und Uniform in den auferstandenen Leopold II. verwandelt, den belgischen Kolonialkönig des Zeitalters der Vorlage von de Costers. Das Paradies ist ein Museum mit kongolesischer Kunst, die Unabhängigkeitsrede Patrice Lumumbas ist zu hören.
Viel historisches Vorwissen erforderlich
So bitterbös das alles ist, Ersan Mondtag inszeniert ein überdimensionales Puppentheater mit viel Spektakel. Das passt zu Schrekers Stilpluralismus, mal im Volkston gehalten, aber auch mit vertrackten Kontrapunkten und herben Saxofonklängen. Das Xylophon klappert wie ein Teufelsgerippe.

Da ist vieles collagehaft geschichtet und dafür findet die Inszenierung die Entsprechung in einem überbordenden Theater, das politisch, kritisch und fantastisch zugleich sein will. Der kleine Haken: Man muss schon viel Kenntnis haben über den belgischen Kolonialismus, um den Anspielungsreichtum zu verstehen. Manches knirscht auch zwischen den Zeilen.
Musikalische Exzellenz
Der listenreiche Smee ist schon bei Schreker eine zwiespältige Figur. Joachim Goltz ist großartig in seiner Spielfreude, mit einem prächtig klangschönen Bariton und wunderbar textverständlich.
Überhaupt ist die Aufführung musikalisch exzellent. Die Ensemblekräfte für die zahlreichen Rollen sind absolut zu bewundern. Großartig homogen singen zum Beispiel Christopher Diffey als Smees Gegner Slimbroek oder die verführerische Seunghee Kho als Dämonin Astarte.

Der Chor ist exzellent. Und wie Dirigent Jānis Liepiņš mit dem Orchester des Nationaltheaters den Stilpluralismus, die kontrapunktische Konstruktion durchleuchtet und am Ende üppigen Klangrausch produziert, ist brillant. Die Entdeckung von Schrekers später und selten gespielter Oper lohnt sich unbedingt.
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