Vier junge Laien erzählen eine komplexe Geschichte. Es geht um das Schicksal einer Gastarbeiterfamilie, Grundlage ist der Erfolgsroman „Dschinns“ von Fatma Aydemir. Bei dieser Stuttgarter Theaterversion hat das Ensemble seine eigenen Beobachtungen und Befindlichkeiten einfließen lassen.
Bühnenversion des komplexen Romans von Fatma Aydemir
Es ist ein trauriger Anlass, der die vier Geschwister zusammenkommen lässt. Ihr Vater Hüseyn ist gestorben. Nach einem harten Arbeitsleben hatte der Frührentner eine Wohnung in Istanbul gekauft und plötzlich einen Herzinfarkt bekommen. Nun stehen sie da und stellen mit einer Mischung aus Bestürzung, Wut und Schmerz fest, wie viele Leerstellen es in ihrem Leben gibt, was alles verschwiegen, verdrängt wurde.
In drei Monaten ist die Bühnenversion des sehr komplexen Romans von Fatma Aydemir gewachsen im ständigen Austausch von Ensemble und Regisseurin. Eine intensive Zeit, in der Text und persönliche Erfahrungen der Spielenden miteinander abgeglichen wurden.

Vier junge Menschen bringen „Dschinns“ auf die Bühne
„Ich glaube der Roman spricht einfach für eine postmigrantische Generation von Menschen, die in Deutschland aufwachsen“, sagt Yeşim Nela Keim Schaub, „und für mich ist besonders interessant an dieser Arbeit, dass eben diese Menschen auch auf der Bühne stehen. Und dass wir versucht haben, uns diesen Stoff auf eine Art und Weise anzueignen, um die spezifischen Erfahrungen, die wir auch teilen, die wir in dem Roman finden, zu erzählen und spürbar und greifbar zu machen.“
Vier junge Menschen bringen das Erzähltheater „Dschinns“ auf eine schlichte, nur mit weißer Folie ausgelegte Bühne. Keine Profis, sondern Laien, die sich für das Theater begeistern und entsprechende Spielerfahrung mitbringen. Seit einiger Zeit bereits arbeitet das Junge Ensemble intensiv mit Laien zusammen, vorrangig in gemischten Produktionen. Dabei geht es um die in der Kinder- und Jugendtheaterszene viel diskutierte Frage: Wer darf welche Geschichten erzählen?

Die Geschichten der Eltern und Großeltern
„Der Gedanke dahinter ist gar nicht mal vorrangig, dass es Laienspielende sind, sondern dass wir sehr junge Menschen auf die Bühne stellen wollten“, erklärt die Intendantin des JES, Grete Pagan. „Wir wollten gern ein Projekt machen mit und für junge Menschen. Und auch gerne mit jungen Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben, die in dritter, zweiter, vierter Generation in Deutschland leben und mit den Geschichten ihrer Eltern und ihren eigenen, ihrer Großeltern alltäglich zu tun haben und was das in unserer Gesellschaft bedeutet.“
Die Produktion hat denn auch Mohammed Amin Zariouh gleich fasziniert. Sein Opa sei als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, erzählt er, das mache die Geschichte gleich persönlicher. Der 22-Jährige studiert Schauspiel an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg in Ludwigsburg und ist damit – wenn man so will - der „Halb-Profi“ im Team, der den ältesten Sohn in der Familie Hakan mimt.
Buchkritik: Fatma Aydemirs Roman Dschinns
Hadern mit Rassismuserfahrungen und Familiengeheimnissen
„Mir war es wichtig, Hakan nicht mit Klischees zu füllen, die man vielleicht von anderen Hakans so hat in Deutschland“, erzählt er, „und Hakan eine Zärtlichkeit zu geben, die erst einmal gar nicht so da ist. Ich habe Hakan begriffen als großen Bruder, der mit dem Tod seines Vaters begreift, dass er der große Bruder ist und für den Zusammenhalt in der Familie eine Verantwortung trägt.“
Es sind komplexe Figuren, die in diesem Stück mit ihrer Geschichte, mit Rassismuserfahrungen, Identitätsfragen und Familiengeheimnissen hadern. Eine Herausforderung für die Besetzung, der einiges abverlangt wird. Denn die vier jungen Menschen spielen nicht nur die sehr unterschiedlichen Geschwisterkinder, sie schlüpfen manchmal sogar nahtlos in die Rollen der Eltern.
Ein notwendiger Perspektivwechsel, um allen Facetten der Erinnerung gerecht zu werden, meint Regisseurin Yeşim Nela Keim Schaub, „um der Geschichte auch eine Komplexität zu geben, die sonst nicht so gezeigt wird. Ich glaube, dass diese Personen, sehr unterschiedlich sind und diese Komplexität auch verstehen und in ihren eigenen Familien mit sich tragen.“
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