Drei Versionen desselben Abends

Aus der Zeit gefallen? „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza am Schauspiel Stuttgart

Stand
Autor/in
Karin Gramling

Mit „Drei Mal Leben“ zeigt das Schauspiel Stuttgart einen Dauerbrenner auf deutschen Bühnen. Die Tragikomödie handelt in drei verschiedenen Versionen das abendliche Treffen zweier Ehepaare ab. Zwischen zu viel Alkohol und Häppchen geht es um die Abgründe des bürgerlichen Lebens. Stellt sich die Frage, ob Yasmina Reza dieses Stück heute vielleicht ganz anders schreiben würde.

Was passiert, wenn der Chef mit seiner Angetrauten einen Tag früher zum Abendessen kommt, als eigentlich erwartet? In diese unangenehme Situation schlittern die Karrierefrau Sonia und ihr Mann Henri. Der Astrophysiker in gemütlichen Cordhosen steht enorm unter Druck, weil er endlich eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlichen muss.

Kaum nimmt der Besuch Platz, plärrt auch schon der sechsjährige Sohn aus dem Kinderzimmer nach Fingers, seinen Lieblingskeksen.

Und schon ist man mittendrin im Kosmos der Yasmina Reza Stücke. Ines, die Frau von Henris Chefs, doziert im hellblauen Kostüm, wie man Kinder erzieht. Ihr Mann Hubert, Typ arroganter Anzugträger, versetzt Henri einen Nackenschlag. Er konfrontiert ihn mit der vernichtenden Nachricht, dass andere Wissenschaftler ihm mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung gerade zuvorgekommen sind.

Celina Rongen (Ines Finidori), Therese Dörr (Sonja), Marco Massafra (Hubert Finidori), Gábor Biedermann (Henri)
Apéro mit dem Chef: In „Drei Mal Leben“ entfesselt die gemütliche Zusammenkunft zweier Paare hitzige Diskussionen über Karriere und Kinder.

Tiefschürfende Diskussionen zwischen Weißwein und Gebäck

Zwischen Fingers und viel Weißwein gibt es dann witzige Dialoge auch über die philosophischen Aspekte der Physik:

Wie die Welt begreifen, wie sie ist? Wie den Abstand aufheben, zwischen Wirklichkeit und Vorstellung? Den Abstand zwischen Gegenstand und Wort? Wie heißt das da? Fingers, ausgezeichnet ... Wie grosso modo die Welt denken, ohne da zu sein, um sie zu denken? – Ein Paradoxon. Umso tragischer als die totale Objektivierung das große Ziel des Wissenschaftsbetriebs ist.

Gábor Biedermann (Henri), Celina Rongen (Ines Finidori), Marco Massafra (Hubert Finidori), Therese Dörr (Sonja)
Henri (Gábor Biedermann) und Hubert (Marco Massafra) diskutieren zunehmend hitzig über den Wissenschaftsbetrieb.

Versuch, den 25 Jahre alten Stoff zu aktualisieren

Die drei unterschiedlichen Versionen über Eitelkeiten, Lebenslügen, Paarprobleme und stagnierende Karrieren hat sich in Stuttgart der renommierte Regisseur Andreas Kriegenburg vorgenommen  – ein Mann für große Stoffe.

Der versucht, dem 25 Jahre alten Stück frischen Wind einzuhauchen. Von furios witzig bis nachdenklich geprägt fallen die drei Versionen des Abends aus – allerdings mit einigen Längen.

Marco Massafra (Hubert Finidori), Celina Rongen (Ines Finidori), Gábor Biedermann (Henri), Therese Dörr (Sonja)
Die verschiedene Versionen des Abends spielen Marco Massafra (Hubert Finidori), Celina Rongen (Ines Finidori), Gábor Biedermann (Henri) und Therese Dörr (Sonia) am Schauspiel Stuttgart.

Es bleibt unklar, zu welcher Zeit das Stück letztlich spielt. Denn zwischen den drei Versionen erscheint altmodisch schwarzgekleidetes Dienstpersonal in Spitzenhäubchen und schwarzen Anzügen. Zu französischer Musik wischen die dienstbaren Geister schnell die Bühne, damit es weitergehen kann.

Auf die Sofas dirigieren sie anschließend die Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich dabei, wie große Marionetten bewegen, um dann wie eingefroren auf den Neustart zu warten.

Marco Massafra (Hubert Finidori), Therese Dörr (Sonja)
Typisch Yasmina Reza: Nach und nach schwindet die bürgerliche Fassade bei Henris Chef Hubert Finidori (Marco Massafra) und der Anwältin Sonia (Therese Dörr).

Ist Yasmina Rezas Stück nach 25 Jahren noch aktuell?

Vielleicht ist „Drei Mal Leben“ im Lauf von 25 Jahren im Gegensatz zu anderen Stücken von Yasmina Reza schlechter gealtert. Im bildungsbürgerlichen Milieu vermutet man heute andere Diskussionen, ausgelöst von den existenziellen aktuellen Krisen.

Die spiegeln sich vor allem im genialen Bühnenbild, das ebenfalls von Andreas Kriegenburg stammt: Eine schräge Plattform, auf der das Ensemble ins Schlingern und Rutschen kommt und auch immer wieder herunterfällt. Die Welt ist in eine Schieflage geraten.

Den Figuren von Reza gehe man zu jeder Zeit in die Falle, so heißt es im Programmheft zuversichtlich. Für manchen dürften hier ein paar Fragezeichen zurückbleiben. 

Freiburg

Frei nach Mary Shelleys Frankenstein „Wollstonecraft“ – dystopische, feministische Gothic-Komödie von Sarah Berthiaume in Freiburg

In „Wollstonecraft“, frei nach Mary Shelley und deren Frankenstein, loten die frankokanadische Dramatikerin Sarah Berthiaume und die italienische Regisseurin Camilla Dania die Abgründe von Schöpfung und Fortpflanzung aus - in einer dystopischen, feministischen Gothic-Komödie.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Mainz

Koproduktion mit Luxemburger Theater Zerrüttete Familienbeziehung: Das irische Drama „Leuchtfeuer“ am Staatstheater Mainz

Im Mittelpunkt des Stücks steht die zerrüttete Beziehung zwischen einer Mutter und ihrem erwachsenen Sohn. Der Vater ist bei einem mysteriösen Segelunfall ums Leben gekommen.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Stuttgart

Porträt Eine künstlerische Stimme aus der Ukraine: Der Regisseur Stas Zhyrkov

Der ukrainische Regisseur Stas Zhyrkov gilt als eine der wichtigsten künstlerischen ukrainischen Stimmen. Gerade probt er am Schauspiel Stuttgart ein Stück über einen Nuklearschlag und seine Auswirkungen.

SWR Kultur am Mittag SWR Kultur

Stand
Autor/in
Karin Gramling