Mit „Drei Mal Leben“ zeigt das Schauspiel Stuttgart einen Dauerbrenner auf deutschen Bühnen. Die Tragikomödie handelt in drei verschiedenen Versionen das abendliche Treffen zweier Ehepaare ab. Zwischen zu viel Alkohol und Häppchen geht es um die Abgründe des bürgerlichen Lebens. Stellt sich die Frage, ob Yasmina Reza dieses Stück heute vielleicht ganz anders schreiben würde.
Was passiert, wenn der Chef mit seiner Angetrauten einen Tag früher zum Abendessen kommt, als eigentlich erwartet? In diese unangenehme Situation schlittern die Karrierefrau Sonia und ihr Mann Henri. Der Astrophysiker in gemütlichen Cordhosen steht enorm unter Druck, weil er endlich eine wissenschaftliche Arbeit veröffentlichen muss.
Kaum nimmt der Besuch Platz, plärrt auch schon der sechsjährige Sohn aus dem Kinderzimmer nach Fingers, seinen Lieblingskeksen.
Und schon ist man mittendrin im Kosmos der Yasmina Reza Stücke. Ines, die Frau von Henris Chefs, doziert im hellblauen Kostüm, wie man Kinder erzieht. Ihr Mann Hubert, Typ arroganter Anzugträger, versetzt Henri einen Nackenschlag. Er konfrontiert ihn mit der vernichtenden Nachricht, dass andere Wissenschaftler ihm mit einer wissenschaftlichen Veröffentlichung gerade zuvorgekommen sind.

Tiefschürfende Diskussionen zwischen Weißwein und Gebäck
Zwischen Fingers und viel Weißwein gibt es dann witzige Dialoge auch über die philosophischen Aspekte der Physik:
Wie die Welt begreifen, wie sie ist? Wie den Abstand aufheben, zwischen Wirklichkeit und Vorstellung? Den Abstand zwischen Gegenstand und Wort? Wie heißt das da? Fingers, ausgezeichnet ... Wie grosso modo die Welt denken, ohne da zu sein, um sie zu denken? – Ein Paradoxon. Umso tragischer als die totale Objektivierung das große Ziel des Wissenschaftsbetriebs ist.

Versuch, den 25 Jahre alten Stoff zu aktualisieren
Die drei unterschiedlichen Versionen über Eitelkeiten, Lebenslügen, Paarprobleme und stagnierende Karrieren hat sich in Stuttgart der renommierte Regisseur Andreas Kriegenburg vorgenommen – ein Mann für große Stoffe.
Der versucht, dem 25 Jahre alten Stück frischen Wind einzuhauchen. Von furios witzig bis nachdenklich geprägt fallen die drei Versionen des Abends aus – allerdings mit einigen Längen.

Es bleibt unklar, zu welcher Zeit das Stück letztlich spielt. Denn zwischen den drei Versionen erscheint altmodisch schwarzgekleidetes Dienstpersonal in Spitzenhäubchen und schwarzen Anzügen. Zu französischer Musik wischen die dienstbaren Geister schnell die Bühne, damit es weitergehen kann.
Auf die Sofas dirigieren sie anschließend die Schauspielerinnen und Schauspieler, die sich dabei, wie große Marionetten bewegen, um dann wie eingefroren auf den Neustart zu warten.

Ist Yasmina Rezas Stück nach 25 Jahren noch aktuell?
Vielleicht ist „Drei Mal Leben“ im Lauf von 25 Jahren im Gegensatz zu anderen Stücken von Yasmina Reza schlechter gealtert. Im bildungsbürgerlichen Milieu vermutet man heute andere Diskussionen, ausgelöst von den existenziellen aktuellen Krisen.
Die spiegeln sich vor allem im genialen Bühnenbild, das ebenfalls von Andreas Kriegenburg stammt: Eine schräge Plattform, auf der das Ensemble ins Schlingern und Rutschen kommt und auch immer wieder herunterfällt. Die Welt ist in eine Schieflage geraten.
Den Figuren von Reza gehe man zu jeder Zeit in die Falle, so heißt es im Programmheft zuversichtlich. Für manchen dürften hier ein paar Fragezeichen zurückbleiben.
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Rezension von Jörg Magenau.
Aus dem Französischen von Frank Heibert und Hinrich Schmidt-Henkel
Verlag Carl Hanser, 208 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-446-27292-7
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