Eklat nach „Opernfreund“-Kritik

Bodyshaming an der Oper: Die Debatten um Körpermaße trifft die Falschen

Stand

Nach der Besprechung einer Offenbach-Operette in Leipzig häuft sich die Kritik. Der Grund: Der Autor kritisierte die „nicht eben ansehnliche Weiblichkeit“ der Sängerin der Hauptrolle. Im Internet werden ihm nun Bodyshaming und Sexismus vorgeworfen. Verbietet sich die Kritik am körperlichen Erscheinungsbild von Menschen auf der Bühne grundsätzlich?

Ist es in Ordnung, in einer Opernkritik die „allzu üppige, kaum verhüllte, nicht eben ansehnliche Weiblichkeit“ einer Sängerin zum Gegenstand der Kritik zu machen? Über diese Frage wird dieser Tage vehement gestritten.

Anlass ist eine Premierenkritik der Neuinszenierung von „Orpheus in der Unterwelt“ an der Oper Leipzig, die am 26. Mai 2025 auf beim Opernportal „Der Opernfreund“ veröffentlicht wurde. Während Kritiker Dieter David Scholz die stimmliche Darbietung der Eurydike-Sängerin Friederike Meinke als „fulminant“ lobte, zeigte er sich wenig überzeugt von deren Optik. Diese grenze ans Peinliche, schrieb er.

Social-Media-Beitrag auf Instagram von friederikemeinke

Ähnliche Debatte bereits 2019 in Salzburg

Der aktuelle Fall erinnert stark an den Bodyshaming-Eklat bei den Salzburger Festspielen 2019. Damals war eine in der „Welt“ veröffentlichte Kritik des Opernkritikers Manuel Brug, der auch für SWR Kultur tätig ist, Stein des Anstoßes. Auch hier ging es um eine Inszenierung von Offenbachs Orpheus-Operette.

Sängerin Kathryn Lewek posiert lasziv in einem hautfarbenen Korsett im Rahmen der Aufführungen zu "Orpheus in der Unterwelt" bei den Salzburger Festspielen 2019
Sopranistin Kathryn Lewek machte ihren Frust öffentlich, nachdem bei den Salzburger Festspielen ihr Körper zum Gegenstand von Kritiken gemacht wurde.

Brug kritisierte damals die Inszenierung von Regisseur Barrie Kosky als ordinär und schrieb: „Immer wieder machen dicke Frauen in engen Korsetten in diversen Separees die Beine breit.“

Sängerin Kathryn Lewek, die damals die Rolle der Eurydike sang und wenige Monate zuvor Mutter geworden war, machte ihrem Ärger bei Twitter Luft: „Warum ist es notwendig, im selben Satz den Körper einer Frau zu kommentieren, in dem man auch ihre hohen Töne kommentiert?“, fragte sie.

In einem Meinungsbeitrag stellte Brug später in der „Welt“ klar: Nicht Lewek als Person, sondern das Regie-Konzept von Barrie Kosky habe er kritisieren wollen.

Why is it necessary to comment on a woman’s body in the same sentence you comment on her high notes? Made the mistake of reading some reviews today (thankfully everyone ❤️’s the production) but seeing comments on my #postpartum #breastfeeding body has me feeling low! 🙁

Gerade Opernsängerinnen stehen unter Druck

Gerade die Rolle der sinnlichen Eurydike bei Offenbach scheint in Sachen Ästhetik bei Kritikern besonderen Reizwert zu genießen. Doch auch andere Beispiele für Kommentare meist männlicher Kritiker über die Körper meist weiblicher Sängerinnen finden sich zuhauf.

So sorgte eine in der „Wuppertaler Rundschau“ veröffentlichte Kritik zur Premiere des Musicals „Cinderella“ an der Wuppertaler Oper im Dezember 2023 für unverhohlene Empörung. Auch hier wurde der Körper der Hauptdarstellerin thematisiert. Das Ensemble der Produktion beteiligte sich mit einem Leserbrief an der anschließenden Debatte.

Gerade angehende Opernsängerinnen stehen heute vermehrt unter Druck, wenn es um ihre Körper geht: Denn auch in der Opernwelt sind Plattformen wie Instagram längst keine Randerscheinungen mehr, um sich eine Bühne zu geben. Wer Karriere machen will, soll neben einer gewaltigen Stimme möglichst auch ein normschönes Äußeres präsentieren.

Maria Callas in einer schwarz-weißen Fotografie aus dem Jahr 1951.
Maria Callas in einem Foto aus dem Jahr 1951. Zwei Jahre später unterzieht sich Callas einer drastischen Abnehmkur und verliert in wenigen Monaten mehr als 30 Kilogramm. Die körperliche Veränderung macht sich bei der Sängerin auch stimmlich bemerkbar.

Kommt nach dem Gewichtsverlust der Stimmverlust?

Dabei kann ein Gewichtsverlust für Sänger*innen nicht nur körperlich, sondern auch beruflich gefährlich werden: Denn Gewichtsschwankungen können den Klang einer ausgebildeten Stimme merklich verändern. Sänger*innen müssen mitunter neue Techniken finden, um ihren Stimmausdruck beizubehalten.

Maria Callas unterzog sich bekanntermaßen 1953 einer drastischen Abmagerungskur und verlor binnen weniger Monate 36 Kilo. Schlank wurde Callas zur gefeierten Ikone ihrer Zeit, doch ihre Stimme verblasste merklich. Bis heute wird der Stimmabbau bei Callas mit ihrer starken Gewichtsabnahme in Zusammenhang gesetzt.

Auch die gefeierte Sopranistin Deborah Voigt, die 2003 angesichts ihres Gewichts aus einer Produktion von „Ariadne auf Naxos“ am Londoner Royal Opera House genommen wurde und sich später einer Magenbypass-Operation unterzog, durch die sie mehr als 100 Pfund verlor, musste nach ihrem Gewichtsverlust ihren Stimmansatz neu erlernen.

Die amerikanische Sopranistin Deborah Voigt als Fricka in Wagners "Walküre an der Metropolitan Opera (2004)
Nachdem die amerikanische Sopranistin Deborah Voigt angesichts ihres Gewichts aus einer Londoner Inszenierung von Strauss' Oper „Ariadne auf Naxos“ genommen wurde, unterzog sie sich einer Magenbypass-Operation.

Nicht der Körper ist das Problem, sondern die Inszenierung

Natürlich kann die Kritik an der Darstellung einer Figur dann gerechtfertigt sein, wenn Sängerinnen oder Sänger in unpassenden Kostümen oder Inszenierungen nicht die Wirkung entfalten, die sie sollten. Doch es sollte sich verbieten, diese Kritik rein am Äußeren der Darstellenden festzumachen.

Statt am Körper der Darstellenden, sollte sich die Kritik an die Verantwortliche richten: Ist es nicht schließlich die Aufgabe einer fähigen Regie und eines guten Kostüm- und Maskenteams, dafür zu sorgen, dass die Menschen auf der Bühne würdevoll ihrer Kunst nachgehen können? Der Einfluss der Sängerinnen und Sänger auf die Inszenierung ist bekanntermaßen in aller Regel relativ gering.

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Muss man die Kritik aushalten können?

So möchte sich auch „Der Opernfreund“ angesichts des aktuellen Offenbach-Eklats aus Leipzig verstanden wissen. Nicht die Körpermaße der Darstellerin habe der Kritiker bewerten wollen – sondern die „obszön-exhibitionistische Zurschaustellung“ eben jenes Körpers, erklärte Chefredakteur Michael Demel am Folgetag der Veröffentlichung.

Die Antwort, warum dann die Kritik in einem Atemzug mit der Leistung der Sängerin Friederike Meinke und nicht mit der Leistung der „Zurschaustellerin“, Regisseurin Maria Viktoria Linke, geäußert wurde, liefert Demel allerdings nicht.

Weiterhin erklärt er, dass man den Körper einer Sängerin genauso besprechen können müsse wie die „hässliche Stimmfarbe eines Sängers“ oder sein „Unvermögen, die richtigen Töne“ zu treffen. Wer diese Kritik nicht aushalte, dem rät Demel: „If you can’t stand the heat, get out of the kitchen“ – wer die Hitze nicht ertrage, der solle lieber die Küche verlassen.

Ein Rat, den man nur zu gerne auch den Kritikern ans Herz legen möchte.

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