SWR Symphonieorchester | Programm 22. September

Belá Bartók: Der Wunderbare Mandarin

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"Unmoralische Handlung!"

"Der Wunderbare Mandarin" von Belá Bartók löste Anfang des 20. Jahrhunderts Empörung aus: Wegen unmoralischer Inhalte und einer zu expressiven Form.

Last but not least: Der große Ungar und Neuerer Belá Bartók. "Der Wunderbare Mandarin" ist in einem Atemzug zu nennen mit den großen Werken des frühen 20. Jahrhunderts; mit Igor Stravinskys "Sacre du Printemps" von 1913, mit Arnold Schönbergs "Erwartung" (1909) oder auch mit den großen Opern Alban Bergs. Erneuern geht nicht selten einher mit Skandalen. Aufgrund des Sujets, aber auch wegen der ungeheuer expressiven Musik hatte "Der Wunderbare Mandarin" mit einigen Geburtsproblemen zu kämpfen.

Ursprünglich handelte es sich um eine – dem Ballett nahestehende – Tanzpantomime. Das Sujet stammte vom ungarischen Dramatiker Menyhért Lengyel (1880-1974). Es ging um drei Zuhälter, die ein junges Mädchen beschäftigen, um ihre Freier auszurauben. Nach zwei "Gästen" erscheint als dritter der wunderbare Mandarin. Den reichen Chinesen wollen die Räuber ermorden, doch er will nicht sterben. Erst in dem Moment, in dem das Mädchen ihn umarmt, verblutet er. Bartók hatte das Werk bereits 1924 abgeschlossen. An eine Aufführung war jedoch aufgrund der politischen Situation in Ungarn kaum zu denken. Erst 1926 erblickte "Der Wunderbare Mandarin" das Licht der Kölner Welt. Danach folgten Diffamierungen jeglicher Couleur. Für ein herb-realistisches Sujet inklusive Prostitution und praller Erotik hatte der Rheinländer ebenso wenig Verständnis wie für die "brueghelsche Höllenphantastik", die der national gesinnte Musikautor Hans Renner in dem Werk erblickte. Konrad Adenauer wollte schon Ende der 20er Jahre als Oberbürgermeister von Köln "keine Experimente". Kurzerhand verbot er die Tanzpantomime. Sein Argument war so schlicht wie konzis: "Unmoralische Handlung!"

Aufgrund aller Probleme und der Einsicht, dass es in absehbarer Zeit wohl zu keinen weiteren Aufführungen kommen werde, arbeitete Béla Bartók an einer Konzertsuite. "Meiner Ansicht nach ist dieses Werk das beste, was ich bisher für Orchester geschrieben habe", schrieb Bartók betreffs der Tanzpantomime an seinen Verleger, "und es wäre wirklich schade, dasselbe jahrelang begraben liegen zu lassen." Die Handlung wird in der Konzertfassung reduziert, aber nicht verheimlicht.

Aus dem Programmheft, Autor: Torsten Möller

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