Interview mit David Afkham

Ich will kein Polizist sein, ich will nicht Luft sortieren

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Trotz seines prall gefüllten Terminkalenders nimmt sich David Afkham Zeit, am Tag seines Konzerts mit dem SWR Symphonieorchester in Freiburg mit einem kleinen Team von SWRClassic durch seine Heimatstadt zu spazieren und für einen kurzen Moment das hektische Dirigentenleben hinter sich zu lassen. Quasi nebenbei erzählt er von seiner Beziehung zu Freiburg, vom Dirigentenleben und von der Bedeutung eines Mentors.

Herr Afkham, Sie merken, dass Sie in Freiburg sind wenn ...

… wenn ich bei der Familie bin. Freiburg ist natürlich meine Heimat, da steht das Elternhaus, die Eltern wohnen dort, und meine jüngste Schwester. Freiburg ist gleichbedeutend mit Familie für mich. Freiburg ist aber auch der Ort, wo ich mich mit der Natur sehr stark verbunden fühle. Ich freue mich, im Schwarzwald sein zu dürfen, im besten Fall wandern zu gehen oder Ski zu fahren – wenn es Zeit dafür gibt. Diese Naturverbundenheit ist für mich sehr stark verknüpft mit Freiburg.

Freiburg ist also eine Art Ruhepol für Sie?

Wenn ich zu Hause bin in Freiburg, dann heißt das auch loslassen zu können und zu dürfen, ins Münster oder spazieren zu gehen, oder wieder Kind sein zu dürfen – was auch immer das heißen mag. Einfach die Wurzeln wieder zu spüren. Ich liebe meinen Beruf, das Dirigieren ist existenziell für mich, ich kann mir nichts anderes vorstellen. Die Internationalität ist Teil des Berufes, er bringt eine gewisse Freiheit und ein Entdecken von anderen Kulturen und Ländern mit sich, und das ist schön. Aber der Nachteil ist natürlich: Man ist sehr viel unterwegs. Am letzten Sonntagvormittag habe ich noch Mozarts c-Moll-Messe in Madrid dirigiert, und am nächsten Morgen war ich bei Proben in Stuttgart mit dem SWR Symphonieorchester, mit einem komplett anderen Programm. Und vor der Messe war es Strauss' Elektra. Das ist unglaublich intensiv. Und dazwischen dann zu wissen, ich komme jetzt mal an einen Ort, wo ich ausatmen kann, wo Natur ist, wo auch Stille ist – das ist von unschätzbarem Wert für mich.

Sie sind in Freiburg geboren und aufgewachsen. Erinnern Sie sich noch an das erste Konzert, das Sie hier besucht haben?

Der Dirigent David Afkham zu Besuch in seiner Heimatstadt Freiburg (Foto: SWR, SWR - Anja Limbrunner)
Dirigieren = pure Leidenschaft

Nein, daran erinnere ich mich nicht aktiv. Ich entstamme einer Musiker/Medizinerfamilie, und zu Hause wurde immer viel Musik gemacht. Mit meinen Geschwistern habe ich Kammermusik gespielt, oder wir sind zum Schulorchester oder in die Musikschule gegangen. Wir hatten dort schon früh Auftritte, später dann mit dem Landesjugendorchester. Oder ich habe Konzerte gehört im Stadttheater und auch Konzerte mit dem SWR-Orchester unter Sylvain Cambreling oder auch Michael Gielen. Also, ich kann da nicht ein einzelnes, bestimmtes Konzert nennen. Prägend waren natürlich auch Projekte mit dem Schulorchester am Deutsch-Französischen Gymnasium. Wir haben sogar Konzertreisen in die USA gemacht, da war ich dann Konzertmeister. Oder auch an der Musikhochschule, wo ich als Jungstudent Klavier studierte.

Was hat Sie zum Umschwenken aufs Dirigieren gebracht, wie wurden Sie vom Pianisten zum Dirigenten?

Mich hat einfach wahnsinnig viel interessiert. Ich habe Geige und Klavier gespielt, das Klavier hat sich letztlich durchgesetzt in Form von Solo- und Kammermusik. Die Geige habe ich vor allem im Orchester gespielt. Aber ich hatte auch Interesse an den Naturwissenschaften, an Sprachen, auch am Theater. Ich habe dann nach etwas gesucht, das all das vereinen kann. Auch der Kontakt mit Menschen, das gemeinsame Musizieren, war sehr wichtig für mich. Dann hab ich das Dirigieren einfach mal ausprobiert. Und das war es dann – pure Leidenschaft, wie wenn man Feuer fängt.

Ihr Vater ist aus dem Iran, Sie haben also persische Wurzeln. Haben diese Wurzeln irgendeinen Einfluss auf Ihre Herangehensweise an Musik?

Der Dirigent David Afkham zu Besuch in seiner Heimatstadt Freiburg (Foto: SWR, SWR - Anja Limbrunner)
Freiburg ist gleichbedeutend mit Familie.

Mein Vater ist zwar im damaligen Persien in den 30er Jahren geboren, aber in Indien aufgewachsen. Wir sind eine sehr internationale Familie, die in Australien, in den USA, in Kanada und sogar in Neuseeland vertreten ist. Ich glaube, dieser internationale Aspekt, dieses ohne Grenzen denken, hat mich mehr geprägt als die persischen Wurzeln meines Vaters. Unser Haus war immer ein sehr offenes Haus. Kultur war unglaublich wichtig, auch der offene Geist für das Andere. In wie weit sich das auf die Musik auswirkt, weiß ich nicht. Ich glaube aber, mein Interesse an Neuem kommt daher. Meine Wurzeln musikalischer Art sind jedoch Komponisten wie Haydn, Mozart, Beethoven, Brahms, Schumann, Mendelssohn. Das ist meine Basis.

Wenn Sie eine Partitur studieren, lernen Sie diese dann quasi mit ihrem inneren Ohr Stimme für Stimme, oder taktweise, oder sitzen Sie dabei am Klavier?

Es gibt ganz verschiedene Schritte, um eine Partitur zu studieren. Wir sind natürlich irgendwie vorbelastet durch Aufnahmen, und deswegen steht der Versuch an erster Stelle, das erst einmal alles wegzuschieben und nur das, was tatsächlich im Notentext ist, zu sehen und dann innerlich zu hören. Riccardo Muti hat mal gesagt: "Eine Partitur ist wie eine Landschaft, in der man spazieren geht. Und peu à peu lernt man sie dann wirklich kennen; da ist der Baum, da ist der Stein, man weiß, wo alles ist, wie es beschaffen ist." Und das ist wirklich so. Am Anfang kann man nur einen Bruchteil sehen, man versucht natürlich so viel wie möglich zu erkennen, aber man entdeckt immer wieder Neues, selbst wenn man es 100 Mal dirigiert hat. Und das ist das Schöne daran. Das ganze Leben reicht wahrscheinlich nicht aus, weil es immer wieder neue Sachen zu entdecken gibt.

Hat das nicht auch etwas mit der eigenen, persönlichen Entwicklung zu tun, wenn man in den Stücken plötzlich etwas Anderes entdeckt?

Klar. Oder auch die politischen Einflüsse: Was jetzt gerade in der Welt vor sich geht ... Und dann spielt man eine Schostakowitsch-Symphonie oder Beethovens Eroika, wo es um die Freiheit des menschlichen Geistes geht, um Freedom of Human Spirit – kann der Bezug zu unserer heutigen Zeit noch aktueller sein? Oder wenn man zum Beispiel einen Trauerfall in der Familie hat, dann wird man vielleicht ein Requiem anders dirigieren als wenn man das nicht erlebt hat. Oder wie kann man eine Pastorale dirigieren, wenn man nicht Natur erlebt hat oder eine Verbindung zur Natur aufbauen konnte?

Wie schaffen Sie es als Dirigent, einem Orchester etwas von Ihrem Personalstil zu übertragen? Denn streng genommen sind Sie ja 'nur' der Vermittler zwischen dem Notentext und den Musikern ...

Der Dirigent David Afkham zu Besuch in seiner Heimatstadt Freiburg (Foto: SWR, SWR - Anja Limbrunner)
Wenn ich eine harte Ausstrahlung habe, dann wird es auch hart klingen.

Für mich ist Personalstil gleichbedeutend mit Klang. Klang ist etwas sehr Besonderes bei einem Dirigenten, weil da sehr vieles ohne Worte geschieht. Jeder Mensch klingt. Jeder hat einen Klang, ohne, dass er es weiß. Allein schon, wie ich auf die Bühne komme, klingt. Ich rede jetzt nicht von dem Geräusch der Schuhe, sondern von der Energie, die ich mitbringe in diesen Klangkörper von Menschen. Wenn ich eine harte Ausstrahlung habe, dann wird es auch hart klingen. Wenn ich dazu noch eine harte Gestik habe, dann klingt es noch härter. Wenn man dagegen spürt, da ist eine Energie oder ein Charisma, das eher rund ist oder lyrisch, dann überträgt sich das sofort, ohne dass ich irgendetwas sage, ohne dass ich die Arme heben muss. Das ist eine energetische Frage, die man schwer in Worte fassen kann. Es ist auch eine Frage der Chemie: Stimmt es zwischen einem Orchester und einem Dirigenten, passt es oder passt es nicht. Da ist ein bisschen Mystik dabei, und das ist auch gut so.

Mir ist aufgefallen, dass Sie nicht nur in einem Konzert, sondern sogar innerhalb eines einzigen Werkes sowohl mit Taktstock als auch mit bloßen Händen dirigieren?

Wozu ist ein Taktstock da? Um den Takt zu schlagen – den Ausdruck mag ich gar nicht. Ich will kein Polizist sein, ich will nicht Luft sortieren, sondern ich will am Klang arbeiten. Klar, wir Dirigenten müssen da sein, wenn es um Klarheit geht, wenn es komplex wird, wenn man wirklich zusammen spielen muss. Aber mein Ideal ist es, dass ich ein Orchester auf eine Ebene heranführe, wo man gemeinsam atmen kann, gemeinsam flexibel ist, gemeinsam phrasiert, sich so zuhört, dass es Kammermusik wird. Dann braucht man nicht mehr "einen Takt zu schlagen". Ein anderer Aspekt ist natürlich, wenn es um Klang, ums Atmen geht, wenn es um Streicherkantilenen geht, oder bei einem Chorwerk, da kann man mit den Händen viel besser formen. Ich spüre dann, was für einen Klang ich haben möchte. Wenn der vielleicht in diesem Moment noch nicht so vorhanden ist, und dann reagiere ich. Sei es mit Taktstock oder ohne. Ich versuche, den Klang zu malen.

Sie haben einen sehr namhaften Mentor, Bernard Haitink. Wie wichtig ist es, so jemanden an seiner Seite zu haben?

Der Dirigent David Afkham zu Besuch in seiner Heimatstadt Freiburg (Foto: SWR, SWR - Anja Limbrunner)
Jeder Mensch hat einen Klang.

Das ist sehr wichtig, ein unschätzbares Glück. Wir haben uns bei einem Meisterkurs kennen gelernt, wo er mich dann hat aktiv teilnehmen lassen. Er hat mich eingeladen, ihm zu assistieren, im Concertgebouworkest Amsterdam, dann in London, in Chicago. Das ging projektbezogen über mehrere Jahre während meines Studiums. Gespräche über Musik, Partituren durchgehen, gemeinsames Hören, Proben erleben, Klang erfahren: Wie sensibel ein "piano" sein kann, wie schön ein "forte", wie kraftvoll ein Beethoven, wie rund und nobel und weit ein Bruckner klingen kann – von Mahler gar nicht zu sprechen. Heute telefonieren wir, zwar nicht jeden Tag, aber ab und zu, und er möchte immer alles wissen. Er kommt auch zu meinen Konzerten, wenn es irgendwie geht, und ich versuche natürlich auch weiter, zu seinen Konzerten zu gehen. Der Kontakt ist also da, und ich bin einfach wahnsinnig dankbar. Es geht auch gar nicht immer um etwas Musikalisches, sondern auch um die Umstände, die der Dirigentenberuf mit sich bringt. In der Hinsicht ist es auch schön, jemanden an seiner Seite zu wissen, der auch mal die Hand auf deine Schulter legt, und sagt: "Ich weiß, ich hatte das auch." Das lässt einen dann durchatmen.

Sozusagen ein musikalischer Ersatz-Vater?

Ja, er ist ein musikalischer Vater, das kann man so sagen. Und ein wahrer Meister. Einer der großen, großen Meister.

Wie ist es für Sie, in der Heimat, zu der Sie ja eine große Affinität haben, das SWR Symphonieorchester zu dirigieren?

Das ist wunderschön. Ich freue mich riesig darauf. Ich kann zu Hause sein, ich kann Musik machen, was ich liebe. Ich mag das Orchester, und die Musik ist wunderschön. Ich kann es kaum erwarten!

Die Fragen stellte Constanze Stratz, Fotos: Anja Limbrunner

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