Gerhard Leitner (Foto: SWR, Oliver Reuther)

Zwei Minuten: die Kolumne zum Wochenende

Meinung: Was für ein Wahnsinn!

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Gerhard Leitner

Noch vor Kurzem war Corona das allerwichtigste Thema, davor die Rettung des Klimas. Aber der Krieg in der Ukraine hat das alles verdrängt und sorgt für eine Radikalisierung – auch in der Rhetorik, meint Gerhard Leitner.

Was für ein Wahnsinn. Wie schnell sich die Welt auf einmal dreht. Noch vor Kurzem war Corona das allerwichtigste Thema und davor – wir erinnern uns – gings um die Rettung des Klimas. Aber davon spricht auch fast keiner mehr, seit der Krieg die Weltlage beherrscht. Kleine Rückblende: Am 8. Dezember - also vor fast fünf Monaten - wurde die neue Regierung vereidigt. Fortschrittskoalition, Klimaregierung, ganz neuer Regierungsstil.

Die Kolumne von Gerhard Leitner können Sie hier als Audio hören:

Vom Wildtier zum Waffensystem

Aber die Zeit für gutgelaunte Selfies ist längst vorbei. Auf einmal gibt es überall Waffen- und Militärexperten. Marder, Leopard oder Gepard waren für mich bisher vor allem Wildtiere. Jetzt wird über den Zerstörungsgrad diverser Waffensysteme diskutiert. Auch in der Rhetorik wird aufgerüstet. Beispiel: die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die ernsthaft gesagt hat: „Wir haben zu führen, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch militärisch.“ Das muss man erstmal sacken lassen. Selbst Politiker der Grünen sprechen davon, wie wichtig jetzt die atomare Abschreckung sei – die Grünen! Und dann ist auf einmal ständig von der Gefahr eines dritten Weltkriegs die Rede. Irgendwie geht das alles derzeit sehr schnell.

So viele Experten für Gut und Böse

Für mich ist das mehr als ein GAU – ein größter anzunehmender Unfall. Denn das ist kein Unfall, der Ukraine-Krieg ist ein gezieltes Verbrechen, für das der russische Präsident verantwortlich ist. Aber muss man deswegen reflexartig alle Russen, auch die, die vielleicht aus guten Gründen seit vielen Jahren bei uns leben, in eine Schublade stecken? Sicher sind nicht die Violinistin oder der Pianist aus St. Petersburg, die in Hamburg oder Paris auftreten, böse. Es ist sicher nicht der russische Maler, der seine Bilder zum ersten Mal in Basel ausstellt. Mit welcher Anmaßung verlangen wir von diesen Leuten ein klares Bekenntnis für oder gegen Putin, um dann den Daumen zu heben oder zu senken? Vielleicht sagen sie nichts, weil sie einfach nur Angst haben, ihre Zukunft oder ihre Beziehungen in den Westen mit einer falschen Bemerkung zu riskieren? Wir brauchen sicher keine Gesinnungspolizei. Wir haben schon genug Experten für Gut und Böse – richtig und falsch.

Anastasia Kobekina (Foto: Pressestelle, Julia Altukhova)
Konzertabsagen, weil sie Russin ist: Anastasia Kobekina

Flüchtlinge erster und zweiter Klasse

Komischerweise gibt es jetzt auch gute und schlechte Flüchtlinge. Die einen bekommen sofort Jobs, Schulplätze und maximale Integration – obwohl sie angeblich so schnell wie möglich in die Ukraine zurückwollen. Die anderen sitzen bereits seit vielen Jahren in Flüchtlingsunterkünften und warten auf irgendwas und dürfen praktisch nichts. Muss man auch nicht verstehen. Oder wenn von der schlimmsten Katastrophe seit dem zweiten Weltkrieg die Rede ist. Was ist mit dem Krieg in Syrien mit fast 400.000 Toten seit 2011? Oder mit Jemen mit 370.000 Toten? Nein, natürlich darf man das nicht gegenseitig aufrechnen. Aber man kann ja mal hinterfragen? Was für ein Wahnsinn in diesen Tagen.

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